Essen. . Mit Pegida macht sich lange im Verborgenen schwelender Unmut Luft. Politikforscher Leggewie sieht Gefahr für die Demokratie. Ein Interview.

Eine Mischung aus Frust, Wut und Vorurteilen gegen Ausländer, Flüchtlinge und den Islam bricht bei den Pegida-Demos auf. Hinzu kommt Hass auf Presse und Politiker sowie ein allgemeiner Zorn über die sozialen Verhältnisse, sagt der Kulturwissenschaftler Claus Leggewie. Wenn eine Partei wie die AfD eine solche Stimmung aufgreift, drohe den demokratischen Verhältnissen Gefahr.

Was treibt die Menschen von Dresden bis Düsseldorf auf die Straße?

Claus Leggewie: Es gibt eine von den Parteien bislang nicht aufgegriffene Bewegung, die sich an der vermeintlichen Landnahme des Islam entzündet hat. Das schwelt seit langem und äußerte sich bisher vor allem im Internet, etwa wenn es um Moscheebau, Verschleierung oder Zuwanderung geht. Das ist eine Folge der offiziell lange nicht erklärten Einwanderungsgesellschaft angesichts einer ethnischen Gruppe, die zu Recht auf ihr Anderssein pocht. Das stört die Leute,das ist nicht neu.

Wer schließt sich Pegida an?

Leggewie: Es gibt eine große Offenheit und Toleranz in der Gesellschaft. Aber 15 bis 20 Prozent sind anderer Auffassung. Deren Geisteshaltung zeugt von einem starken Ressentiment. Hannah Arendt hat mal gesagt: Der Mob ist das Volk in seiner Karikatur und wird deshalb so leicht mit ihm verwechselt. Mit rationalen Argumenten ist da wenig auszurichten. Es geht um starke Gefühle. Und es sind nicht nur Nazis. Die machen mit, doch die Basis ist viel breiter.

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Woraus speisen sich diese negativen Gefühle?

Leggewie: Das Vertrauen in die ökonomische und politische Elite ist zerrüttet. Die Leute kaufen der Politik nichts mehr ab. Das deutet auf einen tief sitzenden Vertrauensverlust in die Steuerungsfähigkeit des Staates hin. Zum anderen fehlt die Überzeugung, von den Parteien noch angemessen repräsentiert zu werden: „Die da oben“ haben sich abgekoppelt und kümmern sich nicht um die Belange der kleinen Leute.

Ist Pegida ein zeitlich begrenztes Phänomen?

Leggewie: Man kann sich schon Sorgen machen, wenn die Ablehnung gegen einzelne Politiker umkippt in eine Ablehnung der staatlichen Institutionen nach dem Motto: Demokratie als solche ist Mist. Dann wird es kritisch, denn es ist viel schwieriger, Vertrauen in die Demokratie wieder aufzubauen als es zu zerstören.

Woher kommt diese Unzufriedenheit? Deutschland geht es doch gut, auch dem Osten.

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Leggewie: Genau dieser Hinweis macht die Leute sauer. Es geht eben nicht allen gut. Viele haben das Gefühl, dass sie abgehängt werden, auch aus der sozialen Mitte. Es herrscht eine allgemein pessimistische Stimmungslage, die mit der wirtschaftlichen Situation wenig zu tun hat. Finanzkrise, Eurokrise, Kriege im Nahen Osten, Anschläge, Flüchtlinge, verarmte Kommunen, kaputte Straßen – alles fließt in ein bedrohliches Bild des Niedergangs. Wenn man den Leuten sagt: Deutschland geht es doch gut, regt sie das auf und sie antworten: Und was habe ich davon?

Ist Pegida nur im Osten stark?

Leggewie: Die Bewegung tritt bundesweit auf. Ich glaube nicht, dass es nur ein Phänomen des Ostens ist. Der Zulauf ist vielleicht höher, weil sich dort mehr Leute abgehängt fühlen. Und sie hängt sich an die Montagsdemonstrationen der ehemaligen Bürgerbewegung an.

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie
Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie © WAZ

Kann sich Pegida auf Dauer als politische Kraft etablieren?

Leggewie: Bislang tummelte sich das Ressentiment in Internetforen und Talkshows, ohne politische Kraft zu gewinnen. Sobald aber eine Partei wie die AfD diese Stimmung aufgreift, bekommt das eine Verstärkung. Die Skepsis gegen Europa gehört ja auch in dieses Stimmungsbild. In Frankreich, Österreich und Großbritannien gibt es bereits starke euroskeptische und rechtspopulistische Parteien. Das könnte auch in Deutschland drohen, wenn das ­Tabu gegen rechts fällt.

Was lässt sich gegen Pegida ausrichten, wenn Argumente nicht ziehen?

Leggewie: Es bleibt nichts anderes übrig, als immer wieder zu argumentieren. Das verfängt zwar nicht bei den Verwirrten, aber es macht den Standpunkt der demokratischen Mehrheit deutlich und überzeugt vielleicht jene Mitläufer, die Argumenten noch zugänglich sind. Außerdem ist es an sich wichtig, den Standpunkt der weltoffenen Toleranz einzunehmen.

Claus Leggewie ist Politikwissenschaftler und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) in Essen. Seit 2008 ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU).

Gegner blockieren Pegida-Demo

Weit mehr Gegendemonstranten als Pegida-Anhänger: In Bonn übertrumpfte am Montag...
Weit mehr Gegendemonstranten als Pegida-Anhänger: In Bonn übertrumpfte am Montag... © dpa
...die Kundgebung von
...die Kundgebung von "Bonn stellt sich quer" mit 1600 Teilnehmern die Demo der islamfeindlichen Bogida/Pegida. © dpa
Zur Demo selbst waren nämlich nur 300 Teilnehmer gekommen.
Zur Demo selbst waren nämlich nur 300 Teilnehmer gekommen. © dpa
Und die große Gegendemo hatte Erfolg: Die Teilnehmer blockierten die geplante Strecke der Pegida.
Und die große Gegendemo hatte Erfolg: Die Teilnehmer blockierten die geplante Strecke der Pegida. © dpa
Weil sich die Gegendemonstranten in den Weg stellten, konnte der Pegida-Marsch...
Weil sich die Gegendemonstranten in den Weg stellten, konnte der Pegida-Marsch... © dpa
...gar nicht erst starten. Stattdessen mussten sich die Islamkritiker mit einer Stand-Kundgebung begnügen.
...gar nicht erst starten. Stattdessen mussten sich die Islamkritiker mit einer Stand-Kundgebung begnügen. © dpa
Die Teilnehmer der Gegendemo in Bonn triumphierten also. In Dresden dagegen...
Die Teilnehmer der Gegendemo in Bonn triumphierten also. In Dresden dagegen... © dpa
...brachte das Bündnis
...brachte das Bündnis "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" erheblich mehr Teilnehmer auf. © imago/Peter Blick
Hier marschierten rund 15.000 Pegida-Anhänger durch die Stadt.
Hier marschierten rund 15.000 Pegida-Anhänger durch die Stadt. © dpa
Die Zahl der Gegendemonstranten (hier nicht im Bild...) blieb weit dahinter zurück:
Die Zahl der Gegendemonstranten (hier nicht im Bild...) blieb weit dahinter zurück: © dpa
Rund 5600 Teilnehmer stellten sich der Pegida in den Weg. Zuvor waren es noch 9000 gewesen.
Rund 5600 Teilnehmer stellten sich der Pegida in den Weg. Zuvor waren es noch 9000 gewesen. © Getty Images
Es war die neunte Pegida-Demo in der sächsischen Landeshauptstadt in Folge.
Es war die neunte Pegida-Demo in der sächsischen Landeshauptstadt in Folge. © dpa
15.000 Pediga-Demonstranten marschierten am Montag durch Dresden. In Bonn konnte die islamfeindliche Bewegung nur 300 Teilnehmer mobilisieren.
15.000 Pediga-Demonstranten marschierten am Montag durch Dresden. In Bonn konnte die islamfeindliche Bewegung nur 300 Teilnehmer mobilisieren. © Getty Images
15.000 Pediga-Demonstranten marschierten am Montag durch Dresden. In Bonn konnte die islamfeindliche Bewegung nur 300 Teilnehmer mobilisieren.
15.000 Pediga-Demonstranten marschierten am Montag durch Dresden. In Bonn konnte die islamfeindliche Bewegung nur 300 Teilnehmer mobilisieren. © dpa
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