Washington. Wie viel darf die Welt von den Foltermethoden der Amerikaner im Kampf gegen den Terror erfahren? Der Folterbericht soll am Dienstag Aufschluss geben.
Seit fünf Jahren streiten der Kongress, der Geheimdienst CIA und die Regierung in Washington erbittert über die Frage, was das amerikanische Volk und der Rest der Welt offiziell über eines der dunkelsten Kapitel in der jüngeren US-Geschichte erfahren darf. Am Dienstag soll der Vorhang fallen – der Folterbericht soll veröffentlicht werden.
Dabei geht es um die staatlich verordnete Folter, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 von Präsident George W. Bush genehmigt und von seinem damaligen Vize Dick Cheney forciert worden war. Sie sollte überwiegend muslimische Terrorverdächtige zum Reden zwingen und befürchtete Folge-Attentate verhindern.
In Geheim-Gefängnissen auch in Ost-Europa, etwa in Polen, mussten Gefangene wochenlang in stockdunklen Zellen sitzen. Sie durften nicht schlafen. Sie wurden mit lauter Musik und der Vorführung nackter Frauen schikaniert.
„Waterboarding“ gehörte zum Standard-Programm der CIA
Im Fall des in Guantanamo auf seinen Prozess vor einem Militärtribunal wartenden Abdel Rahim Al-Nashiri, Drahtzieher des Anschlags auf den US-Zerstörer USS Cole im Jahr 2000 gewesen sein soll, wurde sogar ein Schlagbohrer eingesetzt - als Bedrohung.
Simuliertes Ertränken, die Nahtod-Erfahrung namens „Waterboarding“, gehörte ebenfalls zum Standard-Programm der CIA. Menschenrechtsverletzungen reinster Güte, wie mehrere internationale Organisationen inzwischen festgestellt haben. Dabei ist Folter in Amerika höchstrichterlich verboten.
Auch interessant
Nach monatelangem Tauziehen hinter den Kulissen soll im Laufe dieses Tages vom Geheimdienst-Ausschuss des Senats in Washington ein aus 6300 streng unter Verschluss gehaltenen Seiten destillierter Bericht von cirka 500 Seiten vorgelegt werden. Das ganze Ausmaß der verharmlosend „verbesserte Verhörmethoden“ genannten Exzesse, die Amerikas Ansehen nach Ansicht demokratischer Senatoren wie Ron Wyden noch auf Jahrzehnte beschädigen werden, würde damit erstmals öffentlich.
Nicht nur das. Dutzende Insider, denen bereits Einblick in das mehrfach überarbeitete und aus Sicherheitsgründen teilweise geschwärzte Material gewährt wurde, haben bereits in mehreren Medien zu Protokoll gegeben, was die CIA am meisten wurmt: die „Central Intelligence Agency“ hat laut Bericht Regierung und Parlament über Jahre systematisch belogen. Sie stellte die Folter als segensreich dar, weil so Anschläge verhindert worden seien. In Wahrheit seien die Methoden nicht nur menschenfeindlich und rechtswidrig gewesen, sondern unergiebig, nutzlos und in höchstem Maße kontraproduktiv. Warum?
Amerikas Auftreten wirkt wie eine Frischzellenkur für den Dschihadismus
Amerikas Auftreten in den Anfangsjahren des Anti-Terror-Krieges wirkt nach Ansicht vieler Experten bis heute wie eine Frischzellenkur für den internationalen Dschihadismus. „Es hat die Feinde Amerikas bestärkt, deren Nachwuchsgewinnung angekurbelt, die Kriege in Afghanistan wie im Irak verlängert und Tausende Menschenleben gefordert“, schreibt das Magazin „Mother Jones“. Allein dafür, finden Menschenrechtler in Washington, gehören Leute wie Dick Cheney noch immer vor Gericht gestellt.
Die Regierung von Barack Obama, die die Methoden seit Jahren verurteilt und Vorgänger George W. Bush als Rechtsbrecher an den Pranger gestellt hatte, hat die geplante Veröffentlichung des Senatsberichts lange verhalten unterstützt. Aber ausgerechnet das Weiße Haus bekam in den vergangenen Tagen kalte Füße.
Auch interessant
Über Außenminister John Kerry wurde die zuständige Senatorin im Geheimdienst-Ausschuss, Dianne Feinstein, gebeten, die Veröffentlichung zu überdenken und besser aufzuschieben. Aus Sorge vor Ausschreitungen im Mittleren Osten und zusätzlichen Gefahren für in Geiselhaft steckende Amerikaner. Um für alle Fälle gerüstet zu sein, hat die Regierung weltweit Tausende Marine-Infanteristen in Alarmbereitschaft versetzt. Sie sollen sich zum Schutz von Botschaften und anderen US-Einrichtungen bereithalten, falls es - wie einst nach den Mohammed-Karikaturen - zu größeren Protesten kommen sollte.
Kritiker auf demokratischer Seite des Senats zeigten sich von dem „Totschlagsargument“ Kerrys überrascht. John Brennan persönlich, erst Obamas wichtigster Berater im Anti-Terrorkampf und heute Chef der CIA, nannte die Details des Berichts bereits im März dieses Jahres „schockierend“. Einen günstigen Zeitpunkt für die Veröffentlichung könne es also gar nicht geben.
Lassen die Republikaner das Problem unter den Tisch fallen?
Sollte der „Akt der Selbstreinigung“, von dem Senatorin Feinstein oft gesprochen hat, einfach nur hintertrieben werden?
Ab Januar nächsten Jahres haben die Republikaner im Senat das Sagen. Ihre Neigung, in den Abgrund der hauseigenen Terror-Prävention zu schauen, war nie besonders ausgeprägt. Mit ihren neuen Mehrheiten könnten sie dafür sorgen, dass auf den St. Nimmerleinstag verschoben oder ganz unter den Teppich gekehrt wird, wozu sich Amerika einst im Namen der Freiheit hinreißen ließ. Mike Rogers, Chef des Geheimdienstausschusses im republikanisch beherrschten Repräsentantenhaus, hat die geplante Veröffentlichung bereits als „furchtbare Idee“ beschrieben.
Auch interessant
Dagegen gehen damals direkt an den brutalen Verhören beteiligte Ex-CIA-Leute und verantwortlich Politiker in die Offensive und verteidigen die Praktiken ohne Einschränkung. „Wir können uns glücklich schätzen, Männer und Frauen zu haben, die bei der CIA hart für uns arbeiten“, sagte Ex-Präsident George W. Bush in einem Fernsehinterview, „sie sind Patrioten, und was immer der Bericht sagt: Wenn er ihre Beiträge für unser Land herabwürdigt, dann liegt das völlig daneben.“
Dick Cheney, sein damaliger Vizepräsident und oberster Mentor der Folter-Praktiken, nimmt für sich in Anspruch, nichts falsch gemacht zu haben. Die Verhör-Methoden seien human, professionell, legal und „vollkommen gerechtfertigt“ gewesen, erklärte er am Montag. Die CIA verdiene keine Kritik. Sondern eine Auszeichnung, weil sie Amerika in schwerer Stunde beschützt habe.
Dianne Feinstein und ihre Mitstreiter sehen das vollkommen anders. „Wir müssen Fehler, die wir begangenen haben, auch eingestehen.“ Sollte der Bericht im Laufe des Tages über das Internet weltweit einsehbar sein, wäre die Symbolkraft groß. Morgen vor 30 Jahren, am 10. Dezember 1984, wurde die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen verabschiedet.