Essen. Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt vor einem Flächenbrand in Europa. Es gehe nicht nur um die Ukraine, sondern auch um viele Balkanstaaten. Experten sagen, die EU und Russland seien Integrationskonkurrenten. Bei Russland befürchtet man, dass es seine Interessen zur Not auch militärisch durchsetzt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat mit ungewöhnlich deutlichen Worten vor einem Flächenbrand durch das Vorgehen Russlands in der Ukraine-Krise gewarnt. Konkret bedeute der Kurs des russischen Präsidenten Wladimir Putin auch für Georgien, Moldawien und Serbien besondere Risiken, sagte Merkel im australischen Sydney.

Die Kanzlerin nutzte eine außenpolitische Rede während ihres Australien-Besuchs für die harte Kritik an Putin, den sie am Rande des G20-Gipfels unter vier Augen gesprochen hatte. „Das (Verhalten Russlands) stellt nach den Schrecken zweier Weltkriege und dem Ende des Kalten Krieges die europäische Friedensordnung insgesamt infrage“, sagte sie. Putin verweigere eine Konfliktlösung im gegenseitigen Respekt und mit demokratischen Mitteln, so Merkel. Er setze auf das angebliche Recht des Stärkeren und missachte die Stärke des Rechts.

Merkel warnt vor einem "Flächenbrand in Europa"

Merkel hatte mehrere Stunden mit Putin ­gesprochen. Mal wieder. Die Nation daheim war zuvor in einem ARD-Interview mit dem Präsidenten, der im offenen kleinkarierten Hemd vor der Kamera saß, darüber informiert worden, wie Putin die Krim, die Ostukraine und den Rest der Welt sieht. Merkels Rede ist deshalb als Antwort zu verstehen. Sie warnte den russischen Präsidenten: Die Europäische Union werde vor Moskau nicht kuschen, wie es die DDR getan habe.

Sie mahnte: „Altes Denken in Einflusssphären, das internationales Recht mit Füßen tritt, darf sich nicht durchsetzen.“ Der Ukraine-Konflikt betreffe alle, denn, so Merkel: „Es geht ja nicht nur um die Ukraine. Es geht um Moldawien, es geht um Georgien, wenn es so weiter geht, kann man fragen, muss man bei Serbien fragen, muss man bei den Westbalkanstaaten fragen.“ Was meint sie?

Russland und die Europäischen Union stehen in einer Art „Integration-Konkurrenz“, sagt Margarete Klein, Russland-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die EU mache den Ländern Angebote, Russland mache Druck, kaufe sich ein. Klein spricht von zwei unterschiedlichen Konzepten beim Werben um Zusammenarbeit. Dabei scheint Russland auch bereit zu sein, seine Interessen nicht nur wirtschaftlich und politisch, sondern auch militärisch durchzusetzen.

Beispiel Georgien

Georgien hat viele Gemeinsamkeiten mit der Ukraine. Die frühere Sowjetrepublik will in die Nato. „Das ist für Russland eine rote Linie“, sagt die Wissenschaftlerin. Vor wenigen Tagen waren 30.000 Menschen in der Hauptstadt Tiflis mit „Stoppt Putin“-Plakaten auf der Straße. Die Proteste richteten sich gegen die Versuche Moskaus, die beiden abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien enger an die Russische Föderation zu binden.

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Für Russland sind die Regionen unabhängig. Der Kaukasuskrieg 2008, bei dem Georgien auf der einen und Russland sowie die beiden international nicht anerkannten Republiken Abchasien und Südossetien gekämpft hatten, hatte mehr als 800 Tote gefordert.

Beispiel Moldau (Moldawien)

Zur Republik Moldau gehört die abtrünnige Region Transnistrien, die nach Russland strebt. In Moldau wurde genau registriert, wie Russland im Krim-Konflikt vorging. In Transnistrien, das an die Ukraine grenzt, sind mehr als 1000 russische Soldaten stationiert. Sie „bewachen“ seit 1992 die Interessen der russischen Bürger. Moldau beteiligt sich an den EU-Sanktionen gegen Russland und will sich über das EU-Assoziierungsabkommen enger an Europa binden.

Beispiel Serbien

Serbien gilt als EU-Beitrittskandidat und ist gleichzeitig Verbündeter Russlands. Die beiden Länder verbindet nicht nur gemeinsame Geschichte und orthodoxer Glaube, sondern auch das Gefühl, nach dem Auseinanderfallen ihrer Vielvölkerstaaten (Jugoslawien und UdSSR) nicht mehr so wichtig zu sein. Das nagt am Selbstwertgefühl und stärkt nationalistische Tendenzen. Bislang versuchte sich Serbien in einer Art Schaukeldiplomatie zwischen Russland und Europa. Der Ukraine-Konflikt ist eine Zerreißprobe. Putin lobt das Land als „nahen Bündnispartner und Freund“. An den EU-Sanktionen beteiligt sich Serbien nicht.

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Unter Berufung auf ein vertrauliches Papier aus dem Auswärtigen Amt berichtet der „Spiegel“, die Bundesregierung sei alarmiert über Russlands aggressive und anti-westliche Politik auf dem Balkan. Moskau, so die Analyse, „misst dem westlichen Balkan strategische Bedeutung zu“ und versuche, Serbien durch enge militärische Zusammenarbeit und Erdgaslieferungen enger an sich zu binden. So hält der russische Energieriese Gazprom die Mehrheit am größten Gasbetreiber des Landes.

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sagte dem „Spiegel“: „Das Ziel Putins ist, die Balkanstaaten so unter Druck setzen zu können, dass sie entweder von einer EU-Mitgliedschaft Abstand nehmen oder als Mitglieder EU-Beschlüsse pro-russisch beeinflussen.“ In Bosnien-Herzegowina gehe Russland ähnlich vor. Auch in Montenegro ist Russland als größter Auslandsinvestor sehr aktiv. Ein Drittel der Firmen soll inzwischen Russen gehören.