Essen. . Der Initiativkreis Ruhr hat Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell am Mittwoch für seine Lebensleistung geehrt. Bei seinem Besuch auf der Essener Zeche Zollverein sprach Hell über seine entbehrungsreichen Jahre. Zeitweise lebte er von der Hand in den Mund. Auf Anerkennung musste er lange warten.
Es ist schlimm, in einer Diktatur aufzuwachsen. Aber eines hat Stefan Hell in Rumänien schon als Jugendlicher fürs Leben gelernt: Glaube nie blind den Parolen und Dogmen. Dann muss das Misstrauen einsetzen – und das Fragen. Diese Einstellung hat er sich als Wissenschaftler in Deutschland bewahrt. Nicht zuletzt diese Hartnäckigkeit, sich gegen alle Widerstände durchzusetzen, brachte dem Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen jetzt den Nobelpreis für Chemie ein.
Doch der Weg nach Stockholm führt über Essen. Gestern wurde Hell auf der Zeche Zollverein feierlich in die „Hall of Fame“, die Ruhmeshalle der deutschen Forschung aufgenommen. Damit würdigte der Initiativkreis Ruhr (IR) die Lebensleistung des Ausnahmeforschers. Ein wenig stolz war man im Ruhrgebiet schon darüber, Hell vor der Entscheidung des Nobelpreis-Komitees auserwählt zu haben. IR-Moderator Klaus Engel (Evonik) sagte: „Wir feiern heute am idealen Ort – im Ruhrgebiet. Denn die Region ist heute eine Hochburg der Forschung und des Wissens.“
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Wichtige Entdeckungen in der Medizin ermöglicht
Viel gesehen vom „Pott“ hat Stefan Hell bislang nicht. Kohle, Stahl – und Fußball, das fällt ihm spontan dazu ein. „Ich war 2006 einmal im Dortmunder Stadion, die Stimmung war gewaltig“, erinnert er sich und schaut sich um in der beeindruckenden Maschinenkulisse der ehemaligen Kohlenwäsche der Zeche. Zeit hat ihm sein Forscherleben für die schönste Nebensache der Welt bisher wenig gelassen. Im Dezember wird er in Stockholm geehrt für die Entwicklung einer revolutionären Mikroskop-Technik, die bessere Vergrößerungen und präzisere Bilder liefert, als es die Physik bisher für möglich hielt. Die Augen von Insekten, Bakterien oder Blutkörperchen – all das lässt sich schon lange riesig vergrößern.
Doch hat die Welt der kleinsten Dinge ihre Grenzen irgendwo im Nanobereich, nämlich dort, wo die Beugungsgrenze des Lichts keine höhere Auflösung erlaubt. Seit 150 Jahren galt der Leitsatz, dass eine weitere Auflösung physikalisch praktisch unmöglich ist. „Ich habe das nicht geglaubt“, sagt Hell. Es war zunächst eine Intuition, ein Gefühl, das er aber hartnäckig verfolgte. Seine Forschungen machen es heute möglich, Vorgänge in Viren oder Körperzellen zu beobachten, ohne sie dabei zu zerstören und zu erkennen, welche Prozesse bei Krankheiten wie Krebs ablaufen. Hell: „Dadurch wird es in Zukunft möglich, etwa in die Entwicklung von Viren einzugreifen und sie zu bekämpfen.“ Dies werde wichtige Entdeckungen in der Medizin zur Folge haben.
Steiniger Weg zum Forschergipfel
Der Weg zum Erfolg und zur Anerkennung war lang und steinig. Forscherkollegen bezweifelten lange seine Ideen. Eine typische akademische Karriere blieb ihm somit verwehrt. Er schlug sich lange mit Stipendien und Zeitverträgen durch, nahm ein Stipendium an der Universität Turku in Finnland an und bewarb sich an dutzenden Hochschulen – zunächst ohne das erhoffte Echo. „Die Jahre waren eine entbehrungsreiche Zeit“, erzählt er. „Meine Lage war prekär, ich lebte von der Hand in den Mund. Aber ich habe das in Kauf genommen, weil ich wusste, dass ich einer großen und wichtigen Sache auf der Spur bin.“
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Aber die Story hat ein Happy End, lacht er. Ein damaliger Direktor des Max Planck-Instituts hatte einen seiner Vorträge gehört, fand die Sache interessant und holte ihn nach Göttingen. Doch in Deutschland ging der Kampf weiter. „Um meine Experimente zu finanzieren, stellte ich einen Antrag beim Forschungsministerium. Die Gutachter lehnten das ab, aber ich durfte Widerspruch einlegen, und die zuständigen Beamten genehmigten schließlich das Geld.“ So bekam er die ersten Fördermittel. Hell schmunzelt: „Die Basis für den Nobelpreis legte ein Forschungsantrag, der zuerst abgelehnt wurde.“
Dem Nachwuchs legt er ans Herz, seine Ziele ebenso hartnäckig zu verfolgen wie er selbst. „Als ich anfing, war ich naiv“, gibt er zu. „Ich dachte, man muss nur eine tolle Idee haben – und alle applaudieren. Aber so ist es nicht.“