Paris. Patrick Modiano bekommt den Literatur-Nobelpreis 2014. Wer ist das? Höchste Zeit für den Blick auf einen Autor, der 42 Jahre auf eine deutsche Übersetzung wartete.

In seiner Heimat Frankreich ist der Romancier Patrick Modiano, der am Donnerstag mit dem Literaturnobelpreis geehrt wurde, längst ein Literaturstar. In Deutschland blieb der ganz große Erfolg für den 69-Jährigen bislang aus - obschon in den 80er-Jahren Peter Handke die erste Übersetzung eines Werkes besorgte.

Modiano, 1945 in Boulogne-Billancourt geboren, entstammt einer jüdischen Familie. Das Judentum hat ihn, wie er betont, nicht sehr geprägt, wohl aber eine „chaotische Kindheit und Jugend“, die von der frühen Scheidung seiner Eltern bestimmt war. Mit der „Pariser Trilogie“ begann sein Schaffen, mit den Romanen „Abendgesellschaft“, „Außenbezirke“ und „Familienstammbuch“. Letzerem ist ein Zitat des Dichters René Char vorangestellt: „Leben heißt, beharrlich einer Erinnerung nachzuspüren.“

Die Akedemie preist seine Romane als "elegant"

Die melancholische Rückschau, die Trauer um längst Zurückliegendes prägt seine Romane, die nun von der Schwedischen Akademie als „sehr elegant“ gelobt wurden: Der Preis ist auch als Sieg der Poesie über das Politische oder vermeintlich historisch Gebotene zu verstehen.

Dabei kann die Erinnerungsarbeit, wie im Debütroman „Place d’Etoile“ (der 2008 erst 42 Jahre nach seiner Entstehung ins Deutsche übersetzt wurde!), bei Modiano durchaus mit geschichtsträchtiger Wucht daherkommen: Ein junger Mann, Raphael Schlemilovitch, lebt im Paris zur Zeit des Nationalsozialismus und erfindet sich eine um die andere Biografie des Schreckens und der Verfolgung. Bis er schließlich auf der Psychiatercouch eine „jüdische Neurose“ zugesprochen bekommt – eine Wendung ins Tragikomische, deren bitterer Witz scharf durch die poetischen Bilder und Sätze hindurchbricht.

Die schönen Namen von Paris setzt er ein wie ein Stilmittel 

Die Unfassbarkeit, Unbegreifbarkeit des längst Vergangenen kann bei Modiano aber ebenso das Gewand des Leichtfüßigen, geradezu Heiteren tragen. Wie etwa im „Café der verlorenen Jugend“. Hier erinnern sich vier verschiedene Erzähler an eine Frau namens Louki, die eines Tages im Café Condé im Pariser Odéon-Viertel unweit des Boulevards Saint Germain sitzt.

Die klingenden Namen seiner Heimatstadt Paris dienen Modiano immer auch als poetisches Stilmittel, seine Romane sind von der Geografie der Stadt mindestens ebenso geprägt wie durch ihre Figuren. Der letzte der vier Erzähler, die sich an Louki erinnern, ist ein aufstrebender Literat. Der widmet sich den „neutralen Zonen“ von Paris, jenen Straßen, die zu keinem Viertel gehören wollen, die ganz für sich stehen.

Der zweite Preis für Frankreich innerhalb weniger Jahre

Modiano ist als Erzähler in einer solchen Straße beheimatet: in seiner melancholischen Poesie der Gegenwart entrückt, seinen Zeitgenossen kaum zuzuordnen. Die Sehnsucht, mit der Modiano sich um ein Erinnern bemüht, aber spricht uns heutigen Menschen vielleicht mehr aus der Seele, als wir wahrhaben möchten.

Und so ist Modiano, der in Deutschland vom Hanser-Verlag veröffentlicht wird, ein womöglich greifbarer, zugänglicherer Romancier als sein Landsmann Jean-Marie Gustave Le Clézio: Dass der Literaturnobelpreis, der erst 2008 an Le Clézio verliehen wurde, nun zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre nach Frankreich geht, das ist vielleicht eines dieser kleinen, schicksalhaften Wunder, von denen Modiano so gerne erzählt.