Washington. 190 Millionen Dollar Entschädigung für 8500 Patientinnen, die über Jahre von ihrem Frauenarzt bei Untersuchungen heimlich gefilmt und fotografiert wurden - selbst in der an Skandalen reichen Medizin-Geschichte Amerikas sprengt dieser Fall fast alle Dimensionen.

Keinen Facharzt konsultieren Frauen so oft und so regelmäßig wie ihre Gynäkologin oder ihren Gynäkologen. Nur ihnen gestatten sie so tiefe Einblicke in die körperliche und seelische Intimsphäre. Gerade hier erwarten sie, besonders respektvoll behandelt, einfühlsam befragt und verlässlich untersucht zu werden.

Umso schwärzer ist im Nachhinein der Schatten, der auf der Beziehung liegt, die Dr. Nikita Levy während seiner rund 25-jährigen Tätigkeit am renommierten John Hopkins Medizin-Zentrum von Baltimore mit seinen Patientinnen hatte.

In Kugelschreibern und Schlüsselanhängern ließ der Mediziner Kameras installieren und machte damit während der Unterleibs-Untersuchungen heimlich über 1500 Videos und Fotos. „Für den Hausgebrauch“, sagte ein Ermittler, „es gibt keine Anhaltspunkte, dass Filme und Bilder weitergegeben wurden.“

Frauenarzt erhängte sich nach Auffliegen des Skandals

Als der Skandal im Februar 2013 durch eine aufmerksame Mitarbeiterin des Frauenarztes aufgeflogen war und die Polizei über 1500 kompromittierende Dateien auf dem Computer des Arztes sicherstellte, zog Levy, damals 54, einen brutalen Schlussstrich: Er schrieb einen Abschiedsbrief mit einer langen Entschuldigung an seine Frau. Dann band er sich eine Plastiktüte um den Kopf und schloss sich an eine Kartusche mit Helium-Gas an. Selbstmord.

Für die Opfer des fortgesetzten Missbrauchs dauern die seelischen Qualen unterdessen an. Viele Frauen sind nach Angaben des Anwaltes Howard Janet in psychologischer Behandlung. Einige, wie die 67-jährige, schwer traumatisierte Myra James, haben den Kontakt zur Gynäkologie ganz gekappt. „Du liegst da, völlig ausgeliefert, es ist beschämend, mein Vertrauen ist weg. Für immer.“

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Richter Sylvester B. Cox im Bundesstaat Maryland hat jetzt rund 8500 Patientinnen von Dr. Levy in einer der größten Sammelklagen wegen „sexuellen Fehlverhaltens“ in der Medizin-Geschichte der USA Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 190 Millionen Dollar zugestanden.

Um eine finanzielle Kompensation zu bekommen, muss jede Klägerin individuell von einem Psychologen untersucht werden, um den Grad der Traumatisierung zu ermitteln. Und damit die Höhe der Entschädigung. Das Verfahren beginnt Ende September.

Klinik muss Entschädigung zahlen

Das weltweit als medizinische Elite-Einrichtung bekannte John Hopkins Hospital erhofft sich durch den juristisch genehmigten Vergleich einen „Heilungsprozess“ und den „Start zu neuem Vertrauen“, wie der Direktor der Einrichtung der Lokalzeitung „Baltimore Sun“ sagte. „John Hopkins wird nicht durch eine Person definiert. Hier arbeiten Tausende Ärzte, die das Wohl ihrer Patienten im Auge haben.“