Essen. Rund 20 Prozent der älteren Menschen in Deutschland sind von Angststörungen und Depressionen betroffen. Zu den typischen Symptomen einer Depression gehören Schlafstörungen und der Verlust der Lebensenergie. Experten erklären, wie Betroffene und Angehörige die Anzeichen erkennen.

Gut gelaunte ältere Menschen sieht man nicht häufig – eher schon solche, die ein brummiges Gesicht machen und immer mal wieder einen Stoßseufzer von sich geben: Die Welt ist schlecht – es geht mir nicht gut! Kinder oder Enkel sollten solche oder ähnliche Äußerungen, wenn sie häufig kommen, nicht überhören, raten Experten. Sie können ein Anzeichen für psychische Erkrankungen sein.

Immer mehr Ältere

Gut 25 Prozent der Deutschen sind laut dem Statistischen Bundesamt heute älter als 60 Jahre. Die Zahl bedeutet auch, dass es hierzulande mehr Menschen geben wird, die unter chronischen Erkrankungen leiden. Denn mit den Jahren ist der Körper nicht mehr so widerstandsfähig.

„Auch psychische Erkrankungen sind im Alter häufig. So gehen Menschen in Rente und merken, dass sie ihre bisherige Rolle in Beruf und Gesellschaft verlieren“, sagt Professor Norbert Scherbaum, kommissarischer Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) in Essen. Hierdurch sinkt dann das Selbstwertgefühl und die soziale Einbindung geht vielfach verloren – dies kann den Anstoß zu einer depressiven Entwicklung geben. „Hinzu kommt, dass auch Personen, die schon länger unter psychischen Problemen leiden, älter werden – nicht zu vergessen die steigende Zahl Demenz-Erkrankter“, so Scherbaum.

Depressionen im Alter

Angststörungen und Depressionen gehören laut der Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. Ute Fiedler vom LVR-Klinikum Essen zu den häufigen psychischen Störungen im Alter jenseits von Demenz – rund 20 Prozent der älteren Menschen sind davon betroffen, Frauen doppelt so häufig wie Männer. Zu den typischen Symptomen einer Depression gehören das Gefühl, wertlos zu sein, Schlafstörungen und der Verlust der Lebensenergie. Der Appetit lässt nach, man kann sich nicht konzentrieren. In schweren Fällen treten auch Gedanken an Selbstmord auf.

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„Ältere Menschen müssen häufig erleben, dass sich ihr Umfeld verändert, zum Beispiel, weil Kontakte aus dem Job verloren gehen, Freunde und Vertraute sterben“, schildert Scherbaum einige Ursachen. „Eine geringe körperliche Belastbarkeit, etwa bei einer Herzerkrankung, kann zudem einen Menschen daran hindern, die Wohnung zu verlassen, und so ein weiterer Grund dafür sein, dass sich jemand isoliert fühlt.“

Schwierige Diagnose

Oft werden Depressionen bei älteren Patienten nicht erkannt, denn es ist den Betroffenen peinlich, darüber zu sprechen. Ute Fiedler unterscheidet zudem noch die agitierte und die somatisierte Depression. Letztere bedeutet, dass jemand vorrangig über körperliche Beschwerden klagt – und eben nicht über psychische Beschwerden. Bei der agitierten Depression dagegen sind die Betroffenen unruhig, sie jammern über alles Mögliche. „Wenn Kinder oder Enkel dies bei den Großeltern oder Onkel und Tante beobachten, sollten sie aufmerksam werden und mit dem Hausarzt sprechen – dahinter kann eine Depression stehen“, erklärt Scherbaum. Der Hausarzt ist die erste Anlaufstelle, er kann beurteilen, ob es sich um „normale“ Alterserscheinungen handelt oder es nötig ist, einen Psychiater zu Rate ziehen.

Drei Säulen der Behandlung

Die Behandlung von psychischen Störungen im Alter fußt auf drei Säulen: Eine Möglichkeit ist eine Psychotherapie, beispielsweise mit stützenden, biografisch orientierten Gesprächen. „Der zweite Ansatz ist die Therapie mit Medikamenten. Hier haben wir inzwischen Antidepressiva zur Verfügung, die sich auch mit anderen Arzneimitteln kombinieren lassen, welche ältere Menschen nehmen müssen – zum Beispiel gegen Herz-Rhythmus-Störungen“, erklärt Norbert Scherbaum. Es gebe nur sehr geringe bis gar keine Wechselwirkungen.

Hilfe bei psychischen Problemen

Bei psychischen Problemen im Alter empfiehlt die Psychiaterin Dr. Ute Fiedler:
...den Hausarzt aufzusuchen und mit ihm über die Probleme zu sprechen.
...Kontakt zu einem Psychiater aufzunehmen. Helfen können ärztliche und psychologische Psychotherapeuten. Die Kassenärztliche Vereinigung vermittelt freie Therapieplätze unter 0201-38 41-61 14.
...hilfreich kann auch ein Klinikaufenthalt, stationär oder in einer Tagesklinik, sein. Kontakt zur Gerontopsychiatrische Ambulanz und Tagesklinik des LVR-Klinikums unter 0201-8707-380.

Als dritte Säule nennt er den sozialen Ansatz: Die Patienten werden ermuntert, ihren Lebensalltag so zu verändern, dass Zufriedenheit und soziale Nähe wieder erlebt werden – indem sie zum Beispiel in Sportvereine oder Clubs in den Kirchengemeinden gehen und neue Kontakte knüpfen. „Bei einer tagesklinischen Behandlung werden alle drei Ansätze verfolgt. Oft ist es schon hilfreich, wenn die Betroffenen in der Tagesklinik andere Menschen mit ähnlichen Problemen kennenlernen“, so Scherbaum.

Kriegserlebnisse

„Viele ältere Menschen mussten im Laufe ihres Lebens Erfahrungen machen, die wir als ,Psychotrauma‘ bezeichnen, sagt Professor Hans Georg Nehen, Direktor des Geriatrie-Zentrums Haus-Berge in Essen. Gemeint sind Erlebnisse, die eine zerstörerische Wirkung für den Menschen haben können, etwa bei Bombenangriffen im Krieg oder während der Vertreibung am Ende des 2. Weltkriegs und in der Nachkriegszeit.

Vielen Betroffenen ist es gelungen, diese Erfahrungen durch Einsatz in Beruf und Familie lange unter Kontrolle zu halten. Im Alter sehen sie sich damit allerdings oft heftig konfrontiert. Nehen: „Mit zunehmendem Alter werden die Abwehrmöglichkeiten ,durchlässiger‘, und die traumatischen Erlebnisse drängen wieder in das Bewusstsein.“ Wenn alte Ängste plötzlich wieder lebendig werden, versuchen Psychotherapeuten oft eine positive Einschätzung des eigenen Lebens dagegen zu setzen. Norbert Scherbaum: „Wer auf sein Leben zurückschaut, kann daraus ja oft auch den Schluss ziehen, dass er trotz der belastenden Ereignisse in der Nachkriegszeit vieles geleistet hat.“