Neu Delhi. Der Ruf des Reiselandes Indien ist nach sexuellen Übergriffen auf Touristinnen angeschlagen. “Mulmige Gefühle reisen mit“, sagt eine Deutsche. Doch sie rät: Kommt nach Indien. Denn der Tourismus in Indien leidet spürbar unter dem Rückgang der Urlauber. Und diejenigen die reisen haben viele Fragen.

Familie und Bekannte haben Hanna Hüneke aus Bremen geraten, nicht nach Indien zu fliegen. "Sie sagten: Du musst dein blondes Haar verstecken, dich in weite Kleider packen und kannst nach sechs Uhr abends nicht mehr auf die Straße gehen", erzählt die 27-Jährige. Sie alle hätten ein schreckliches Bild von Indien, seit die Medien so viel über Vergewaltigungen von Touristinnen berichten.

Nun lebt Hüneke seit zwei Monaten in der indischen Hauptstadt Neu Delhi, und meint: "Das ist alles nicht nötig. Ich gehe nach der Arbeit abends um 8 Uhr noch alleine auf den Markt einkaufen." Zwar starrten die Männer sie die ganze Zeit an. Aber nicht, weil sie gleich über sie herfallen wollten, sondern eher, weil sie so groß sei und eben anders und fremd aussehe, meint sie.

Nur gute Erfahrungen

Auch ihre Kollegin Mathilde Kowalski (23) aus Bonn hat bislang nur gute Erfahrungen gemacht. "Es ist so schade, dass jetzt alle Inder in einen Topf geworfen und als Bestien dargestellt werden", sagt sie. Allerdings sei sie seit den jüngsten Übergriffen vorsichtiger - und würde zum Beispiel nicht mehr alleine mit dem Zug durchs Land fahren. "Ein mulmiges Gefühl reist nun mit", sagt sie. "Aber es ist Quatsch, jetzt nicht mehr herzukommen!"

Vor einigen Tagen soll ein Mann eine junge Deutsche in einem Schlafwagen in Südindien vergewaltigt haben. Nur einen Tag später ging eine Dänin in Neu Delhi zur Polizei und erklärte, acht Männer seien unweit des beliebten Backpackerviertels Paharganj über sie hergefallen. Und eine Polin soll - im Beisein ihrer kleinen Tochter - von ihrem Taxifahrer betäubt und misshandelt worden sein.

Die Zeitung "Hindustan Times" fragte daraufhin ihre Online-Leser: "Ist das Image Indiens in der Welt befleckt?" 96 Prozent der Abstimmenden antworteten mit Ja. Das Auswärtige Amt in Deutschland rät Reisenden, vor allem Frauen, vorsichtig zu sein.

Überfälle haben kein System

Angst aber habe sie nicht, meint Tanja (30) aus Stuttgart, die gerade drei Wochen lang in Indien unzählige Tempel besuchte, durch Festungen streifte und sich auf Festivals amüsierte. "Es ist schon ungewohnt, dass auf den Straßen sehr viele Gruppen von jungen Männern unterwegs sind. Aber bedrohlich fand ich das nie", sagt sie. Es sei eher lustig gewesen, weil die Jungs sie so oft angesprochen hätten, ob sie Fotos mit ihnen machen könnten.

Sarah Liegmann (24) aus Leipzig, die schon mehrfach in Indien war, hat auch diesmal keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen getroffen. "Die Fälle waren so vielfältig, da war kein System dahinter", sagt sie. Tatsächlich soll im vergangenen Jahr eine Deutsche im Badeort Goa von ihrem Yogalehrer vergewaltigt worden sein. Eine Schweizer Touristin wurde auf einer Fahrradtour mit ihrem Partner überfallen und mehrfach vergewaltigt. Und in der Nähe des Taj Mahal sprang eine Britin aus Angst vor dem Hotel-Besitzer vom Balkon.

Angst-Effekt für die Branche spürbar

Die Tourismusbranche Indiens spürt einen leichten Angst-Effekt: Im vergangenen Jahr wuchs die Zahl der ausländischen Besucher zwar, aber nicht mehr so stark wie in den Vorjahren. 6,8 Millionen Touristen kamen nach offiziellen Angaben 2013 ins Land, das sind 4,1 Prozent mehr als 2012. Experten meinen, es wären ohne die Vorfälle viel mehr gewesen, da die Rupie stark an Wert einbüßte und das Reisen in Indien deswegen derzeit extrem günstig sei.

"Viele Touristinnen - vor allem wenn sie alleine unterwegs sind - haben nun jede Menge Fragen: Kann ich den Bus nehmen, ist ein Nachtzug sicher, soll ich lieber ein Hotel statt ein billiges Hostel buchen?", erzählt der Reiseveranstalter Ashish Singh. Die Branche habe schon reagiert: Es gebe in manchen Unterkünften nun Stockwerke, in denen nur Frauen untergebracht sind. Andere bieten weibliche Fahrer und Reiseführer an. (dpa)