Istanbul. Tausende Demonstranten haben nach dem schweren Grubenunglück in Istanbul gegen den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan protestiert. Sie forderten den Rücktritt der Regierung. Die Zahl der Toten bei dem Grubenunglück in Soma stieg nach Angaben von Energieminister Taner Yildiz vom Mittwochabend auf 274.

Die Bergbau-Katastrophe mit mindestens 274 Toten hat in der Türkei heftige Proteste gegen die Regierung ausgelöst. Die Polizei ging am Mittwoch in Ankara und Istanbul mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Demonstranten vor. Seit der Explosion in dem Kohleberg Soma am Dienstag waren immer mehr Tote aus dem Schacht geborgen worden. Das Unglück ist auch die schwerste Katastrophe in einem Bergwerk weltweit seit 1975.

Noch rund 120 Kumpel seien unter Tage eingeschlossen, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu. 80 Menschen seien bei dem Brand in dem Kohlebergwerk Soma verletzt worden. In Istanbul demonstrierten am Abend Tausende Menschen, die die Regierung für die Katastrophe verantwortlich machten. Wie zuvor in der Hauptstadt Ankara versuchte die Polizei auch dort, den Protest gewaltsam zu zerschlagen.

Demonstranten und Gewerkschaften sprechen von "Massenmord"

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Die Demonstranten in Istanbul forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung wegen des Unglücks. Einige hielten Plakate in die Höhe, auf denen stand: "Kein Unfall - Mord". Die Polizei hinderte die Demonstranten daran, weiter in Richtung des zentralen Taksim-Platzes vorzudringen. Auch Gewerkschaften sprachen von "Massenmord" in der Zeche Soma. Der größte türkische Gewerkschaftsbund Türk-Is rief seine Mitglieder zur Arbeitsniederlegung an diesem Donnerstag auf.

Energieminister Taner Yildiz sagte in Soma, die Hoffnung schwinde, noch Überlebende zu retten: "Es ist schlimmer, als zunächst erwartet." Zum Zeitpunkt des Unglücks am Dienstagnachmittag seien 787 Arbeiter in der Zeche gewesen. Möglicherweise werde die Katastrophe zum schlimmsten Grubenunglück in der Geschichte der türkischen Republik. 1992 waren beim bislang schwersten Unglück in einem Bergwerk in der Türkei 263 Menschen ums Leben gekommen.

Defekt soll Brand und Explosion verursacht haben

In Soma hatte Medienberichten zufolge ein elektrischer Defekt in einem Trafo zunächst eine Explosion und dann einen Brand verursacht, der nach Angaben von Yildiz in 150 Metern Tiefe ausbrach. Wegen des Unglücks rief die Regierung eine dreitägige Staatstrauer aus. Im ganzen Land und an den türkischen Vertretungen im Ausland wurden die Flaggen auf halbmast gesetzt.

In Ankara hatten Hunderte Demonstranten am Nachmittag versucht, zum Energieministerium vorzudringen. Die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, aus den Reihen der Demonstranten seien Molotow-Cocktails und Steine geworfen worden. Die Sicherheitskräfte hätten über Megafon auf die von der Regierung verfügte Staatstrauer für die Opfer der Katastrophe hingewiesen.

Am Morgen waren laut Berichten sechs Überlebende gerettet worden

Der Bergmann Sami Kilic, der neun Jahre in der Zeche arbeitete und bei den Rettungsarbeiten half, sagte dem Sender CNN-Türk, bei einer Explosion unter Tage funktioniere die Stromversorgung nicht mehr. Ventilatoren fielen aus, der Luftstrom werde unterbrochen. "Auch wenn die Männer Masken haben sollten, wird eine Rettung schwierig." Die Masken reichten für 45 Minuten Frischluft. "Aber innerhalb von 45 Minuten kann man nicht die eineinhalb Kilometer nach oben kommen."

Kilic sagte, er rechne mit bis zu 400 Toten. Mehr als 18 Stunden nach dem Grubenunglück waren am Mittwochmorgen Medienberichten zufolge noch sechs Überlebende geborgen worden.

Ministerpräsident Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül sagten wegen des Unglücks Auslandsreisen ab. Erdogan besuchte den Unglücksort am Mittwoch. Türkische Medien berichteten, die Regierungspartei AKP habe im vergangenen Monat Forderungen der Opposition zurückgewiesen, die Sicherheitsvorkehrungen an der Zeche Soma zu überprüfen. Die Bergwerksgesellschaft teilte mit, die letzten Sicherheitsüberprüfungen habe es vor zwei Monaten gegeben.

Bergbaugewerkschaft IG BCE kritisiert Sicherheitsmängel in der Türkei

In Deutschland kritisierte die Bergbaugewerkschaft IG BCE Sicherheitsmängel in der Türkei. "Die Katastrophe in Soma ist das jüngste Glied in einer langen Kette schrecklicher Grubenunglücke in der Türkei", sagte der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis laut einer Mitteilung. Es habe immer wieder Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen gegeben. Mindestvorschriften im Arbeits- und Gesundheitsschutz würden nicht eingehalten.

Das Grubenunglück in der Türkei löste weltweit Trauer aus. Mehrere Länder boten der Türkei Hilfe an. Darunter waren auch Israel und Griechenland, deren Verhältnis zur Türkei angespannt ist. Bundespräsident Joachim Gauck sprach dem türkischen Staatschef Gül seine Anteilnahme aus. Kanzlerin Merkel schrieb Erdogan: "Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer."

In der Türkei kommt es immer wieder zu tödlichen Grubenunfällen. Mehrfach gab es in den vergangenen Jahren Verstöße gegen Sicherheitsregeln oder es wurden veraltete Arbeitsgeräte eingesetzt. (dpa)