Wien. Der polnische Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski hat den Sieg von Conchita Wurst beim ESC heftig kritisiert: „Das ist ein Beweis für den Verfall des modernen Europa“, sagte der nationalkonservative Ex-Regierungschef. „In Europa tun sich beunruhigende Dinge, die seine Dekadenz zeigen.“
Da steht Conchita Wurst nun und wird von Interview zu Interview gereicht, ohne dass ihre höfliche Art auch nur den kleinsten Kratzer bekommt. Mit einem Lächeln – irgendwo zwischen schüchtern und kokett – beantwortet sie die immer gleichen Fragen mit den immer gleichen Antworten. „Europa will eine Zukunft mit Liebe, Akzeptanz und Frieden“, ist sie sich sicher, und sie hofft „auf mehr Toleranz“.
In Österreich vielleicht sogar mit Erfolg. Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) kündigte eine Optimierung des Diskriminierungsgesetzes an, und ÖVP-Kollege Andrä Rupprechter sah zumindest einen Impuls für mehr Rechte für Homosexuelle. Vergessen ist jedenfalls die Petition, in der im Vorfeld mehr als 4000 Österreicher forderten, Wurst nicht zum ESC zu schicken. Ja, so viel Lob und Begeisterung erfährt Frau Wurst, dass sie sich mittlerweile als Moderatorin für 2015 ins Spiel bringt. „Das könnte ich doch machen.“
Radiosender brach Übertragung ab
Nicht, wenn es nach osteuropäischen Politikern geht. Die haben auch zwei Tage nach dem Wettbewerb noch an Conchitas Sieg zu knacken. Das ESC-Ergebnis zeige „Anhängern einer europäischen Integration, was sie dabei erwartet – ein Mädchen mit Bart“, schrieb der russische Vizeregierungschef Dmitri Rogosin bei Twitter. Für den polnischen Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski ist der Sieg von Conchita „ein Beweis für den Verfall des modernen Europa“. Und der nationalistische russische Abgeordnete Wladimir Schirinowski sagte Europa im Fernsehen gar den Untergang voraus. „Das ist das Ende.“ Und dann setzte er noch einen drauf: „Vor 50 Jahren hat die sowjetische Armee Österreich besetzt, es freizugeben war ein Fehler, wir hätten dort bleiben sollen.“
Auch auf kirchlicher Seite hielt sich die Begeisterung über Conchitas Sieg teilweise in Grenzen. Ein katholischer Radiosender in Ungarn jedenfalls brach die Übertragung des ESC ab, als Conchitas Sieg feststand. Er arbeite, mutmaßt seitdem der diensthabende Außenreporter wohl zu Recht, „bei einem homophoben Medium“.
In Deutschland wächst derweil die Kritik an der Wertung der eigenen Jury. Die hatte Conchita nur auf Platz elf gesehen, während die Zuschauer den österreichischen Beitrag auf Rang Eins wählten. Das reichte zusammengerechnet dann nur für den vierten Platz und damit sieben Punkte aus Deutschland. Da seien, wird nun im Netz gemutmaßt, einige Leute in der Jury, die wohl Probleme mit Schwulen hätten. Unter Verdacht steht vor allem Rapper Sido.
Conchita für Österreich
Doch der kann die Vorwürfe gar nicht verstehen und schreibt auf seiner Facebook-Seite, er habe „jedem Kandidaten dieselbe Chance gegeben, mich zu überzeugen, unabhängig von seiner Nationalität, seiner Religion oder seiner sexuellen Gesinnung. Spielt ja auch alles keine Rolle, hier ging es um die Musik, die Komposition, die Stimme, die Performance.“ Thomas Schreiber, ESC-Teamchef und ARD-Unterhaltungschef, sekundiert: „Wenn der Sieg von Conchita Wurst als ein Zeichen der Toleranz in Europa betrachtet wird, ist es eine Selbstverständlichkeit, dem Urteil der Profis aus der Musikindustrie dieselbe Toleranz entgegenzubringen.“
Geändert, das nur am Rande, hätte es am Sieg Österreichs übrigens nichts, wenn in allen Teilnehmerländern ausschließlich das Publikum abgestimmt hätte. Donatan & Cleo allerdings, die Mädels, die Polen vertraten, wären ein ganzes Stück nach vorne gerutscht. Immerhin in zwölf Ländern schaffte es ihr Lied nach Publikums-Voting unter die Top 3! Hatte aber wohl weniger mit Toleranz zu tun, sondern viel mit der ausladenden Oberweite der Frauen, die sie begleiteten und die am Bühnenrand mit lasziven Blick Wäsche wuschen und Butter stampften.