Kopenhagen. . Conchitas Sieg ist für Österreich alles andere als Wurst. Die Alpenrepublik hat nach 48 Jahren endlich wieder den Gipfel von Schlager-Europa erreicht. Über den Sieg des schrillen Bond-Girls mit dem Vollbart freute sich aber auch noch eine andere Gruppe.

Hätte nur noch gefehlt, dass jemand gerufen hätte „I werd’ narrisch!“ . So wie es „Edi“ Finger einst bei der Fußball-WM tat, als Österreich gegen Deutschland siegte. Obwohl diesmal ja nicht gekickt wurde, sondern gesungen. Trotzdem ist wieder von „einer Sensation“ die Rede. Und von einem „Statement für Toleranz“. Nicht nur weil die Alpenrepublik erstmals seit 48 Jahren den Eurovision Song Contest gewonnen hat. Sondern weil sie es mit jemandem gewonnen hat, der sich Conchita Wurst nennt und Lippenstift zum Vollbart trägt. Dabei ist dieser Sieg bei genauerem Hinsehen gar nicht so überraschend.

Conchita Wurst ist natürlich keine Frau mit Bartwuchs. Sie ist eine Kunstfigur, geschaffen von einem 25-jährigen Mann, der im echten Leben Thomas Neuwirth heißt, bekennender Homosexueller ist und im steirischen Bad Mitterndorf aufwuchs. Und der seit Jahren vor allem eines will: bekannt werden.

"Weil es eben 'wurst' ist, woher man kommt und wie man aussieht"

Es besucht erfolgreich die Modeschule in Graz, sucht aber immer wieder die große Bühne. Noch unter seinem richtigen Namen nimmt er in Österreich an Casting-Shows teil und gründet eine Boyband: Als das nicht den gewünschten Erfolg hat, greift Neuwirth zu High Heels, engen Kleidern und Langhaarperücke und lässt die Bartstoppel wachsen. Er wird zur bärtigen Dragqueen vom Lande, zu Conchita Wurst. „Weil es eben ‚wurst‘ ist, woher man kommt und wie man aussieht“, erklärt er seinen eigenwilligen Nachnamen, der Wortspiele geradezu herausfordert. Er will polarisieren, provozieren, im Gespräch bleiben.

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Als Wurst lacht er in jede Kamera, verarbeitet für ORF-Reihe „Die härtesten Jobs Österreichs“ Fische und nimmt unter anderem an der „Dschungelcamp“-Variante „Wild Girls“ teil, für die ihn viele der Medien, die ihn nun hochleben lassen verspotten und verreißen.

Aber Neuwirth glaubt an sich. Er bewirbt sich beim österreichischen Fernsehen als Teilnehmer für den ESC 2014. Dort stimmt man zu. Auch weil man nichts zu verlieren hat. Seit Udo Jürgens 1966 mit „Merci Chérie“ siegte, hat man nicht mehr viele erreicht beim europäischen Gesangswettbewerb, mehrere Jahre wegen Erfolglosigkeit auf die Teilnahme sogar komplett verzichtet. Warum also 2014 nicht einen wie Conchita Wurst nach Kopenhagen schicken.

ESC ist seit Jahren ein Pflaster für Bizarres

Zumal sie wohl wissen in Wien, was viele Jubler nach dem Sieg übersehen. Der ESC ist seit Jahren ein gutes Pflaster für ungewöhnliche Auftritte und skurrile Künstler. 2006 gewinnen als Monster und Zombies maskierte Hard-Rocker namens Lordi, vor zwei Jahren hätten um ein Haar ein paar russische Großmütter gesiegt. Und die konnten nicht mal besonders gut singen.

Conchita für Österreich

Conchita Wurst holt nach 48 Jahren den ESC wieder nach Österreich.
Conchita Wurst holt nach 48 Jahren den ESC wieder nach Österreich. © dpa
Sie überzeugte das europäische Publikum nicht nur mit einem James-Bond-mäßigen Song und einer großartigen Stimme...
Sie überzeugte das europäische Publikum nicht nur mit einem James-Bond-mäßigen Song und einer großartigen Stimme... © Getty Images
...sondern auch mit einem Traum von einem Kleid.
...sondern auch mit einem Traum von einem Kleid. © dpa
Hinter der Kunstfigur Conchita steckt der Österreicher Thomas Neuwirth.
Hinter der Kunstfigur Conchita steckt der Österreicher Thomas Neuwirth. © dpa
Als Dragqueen mit Vollbart zieht er gegen die Diskriminierung von Homosexuellen in den Kampf.
Als Dragqueen mit Vollbart zieht er gegen die Diskriminierung von Homosexuellen in den Kampf. © dpa
Conchita hat ersichtlich kein Problem mit großen Auftritten: Hier bei der Eröffnungsfeier des ESC...
Conchita hat ersichtlich kein Problem mit großen Auftritten: Hier bei der Eröffnungsfeier des ESC... © dpa
...am 4. Mai in Kopenhagen.
...am 4. Mai in Kopenhagen. © dpa
In Österreich ist Conchita Wurst keine Unbekannte. Sie nahm auch schon an der Talentshow...
In Österreich ist Conchita Wurst keine Unbekannte. Sie nahm auch schon an der Talentshow... © dpa
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..."Die große Chance" im ORF teil. © dpa
Beim ESC trat Conchita mit dem Song
Beim ESC trat Conchita mit dem Song "Rise Like a Phoenix" an. © dpa
Ein paar Fans in Kopenhagen durften Conchita schon vorab live sehen.
Ein paar Fans in Kopenhagen durften Conchita schon vorab live sehen. © dpa
Aber Conchita hat nicht nur Fans.
Aber Conchita hat nicht nur Fans. © dpa
Der russische Politiker Vitalo Milonow bezeichnete  Conchita Wurst als
Der russische Politiker Vitalo Milonow bezeichnete Conchita Wurst als "himmelschreiende Propaganda von Homosexualität und spirituellem Niedergang." © dpa
Und Aram Sargsyan, der beim ESC für Armenien antrat...
Und Aram Sargsyan, der beim ESC für Armenien antrat... © dpa
...wurde mit den Worten zitiert, er werde es
...wurde mit den Worten zitiert, er werde es "irgendwie ertragen" müssen, neben diesem Künstler aufzutreten. © dpa
Und man könne Wurst hoffentlich helfen,
Und man könne Wurst hoffentlich helfen, "sich zu entscheiden, ob sie eine Frau oder ein Mann ist". © dpa
Sargsyan entschuldigte sich später und beteuerte er sei falsch übersetzt worden. Das war Conchitas erster Sieg - noch vor dem Finale.
Sargsyan entschuldigte sich später und beteuerte er sei falsch übersetzt worden. Das war Conchitas erster Sieg - noch vor dem Finale. © dpa
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Wurst kann es. Und sie hat ein Lied, dass ihr auf den Leib geschnitten ist. „Rise like a Phoenix“ heißt es; es klingt stark nach James Bond. Es gibt vielleicht bessere Stimmen beim diesjährigen ESC, stärkere Songs, aufwendigere Darbietungen. Aber Wurst bietet – wie Dieter Bohlen es nennt – das beste Gesamtpaket. Weil sie schwul oder obwohl sie schwul ist – kommt auf die Sichtweise an. Jedenfalls bekommt sie am Ende fast von jeder Jury Punkte. Ja, selbst aus Russland und gibt es fünf, obwohl das dortige Fernsehen alles versucht hatte, den österreichischen Beitrag aus der Wettbewerb zu verbannen.

Bei jedem Punkt Pfiffe für Russland

Überhaupt hat Putin sein TV-Volk an diesem Abend nicht im Griff. Natürlich schieben sich viele der ehemaligen Sowjetstaaten die Punkte wieder gegenseitig zu, genau wie die Skandinavier und Balkan-Länder das auch immer machen. Aber dass Russland der aufmüpfigen Ukraine immerhin sieben Punkte gibt, dass wird Putin nicht besonders gefallen haben. Wohingegen nicht anzunehmen ist, dass der Kreml seine Außenpolitik ändern wird, weil es in Kopenhagen bei jedem Punkt für Russland Pfiffe gibt.

Am Ende siegt Wurst mit 290 Punkten überlegen vor den starken Niederländern und Schweden. Und als Wurst noch einmal vom Phönix aus der Asche singt, da ist nicht mehr viel zu spüren von der stets den Tränen nahen Drama-Queen. Da ist sie Vollprofi, stolz und glücklich dort zu stehen, wo sie ihrer Meinung nach hingehört. Zum Abschied reckt sie unter Tränen die Faust: „We are unstoppable!“, ruft sie zur Freude vieler Schwulen und Lesben. Im Kreml dürften die Fernseher da allerdings bereits abgeschaltet gewesen sein.

Alle 26 Platzierungen

Platz 1: Conchita Wurst für Österreich mit
Platz 1: Conchita Wurst für Österreich mit "Rise Like a Phoenix". Das hätte auch ein Bond-Titelsong sein können, und die Stimme war beeindruckend. 290 Punkte. © dpa
Platz 2: The Common Linnets sangen
Platz 2: The Common Linnets sangen "Calm After The Storm" für die Niederlande. Es klang, als hätten June Carter und Johnny Cash "Every Breath You Take" von Police gesungen. 238 Punkte. © Getty Images
Platz 3: Sanna Nielsen, Schweden, wandelte mit ihrem Lied
Platz 3: Sanna Nielsen, Schweden, wandelte mit ihrem Lied "Undo" auf den Spuren von Celine Dion. 218 Punkte. © dpa
Platz 4: Aram MP3 aus Armenien mit
Platz 4: Aram MP3 aus Armenien mit "Not Alone". Ein bisschen Dracula, ein bisschen Rammstein für Vorsichtige. 174 Punkte. © Getty Images
Plazu 5: Andras Kallay-Saunders (Ungarn) mit
Plazu 5: Andras Kallay-Saunders (Ungarn) mit "Running". Thema Kindesmisshandlung, und das wurde auf der Bühne auch noch tänzerisch dargestellt. 143 Punkte. © Getty Images
Platz 6: Maria Yaremchuk (Ukraine) mit
Platz 6: Maria Yaremchuk (Ukraine) mit "Tick-Tock". Ein Mann lief dazu im Hamsterrad. Musste er den Strom für die Windmaschine erzeugen? 113 Punkte. © dpa
Platz 7: Direkt hinter der Ukraine die Russinnen
Platz 7: Direkt hinter der Ukraine die Russinnen "Tolmachevy Sisters" mit "Shine". Wie so viele Acts hatten auch sie ein Sportgerät auf der Bühne - eine Wippe. 89 Punkte. © dpa
Platz 8: Der Norweger Carl Espen mit
Platz 8: Der Norweger Carl Espen mit "Silent Storm". Das klang so traurig, dass auch das Publikum Mitleid bekam. Wenn es ganz leise wurde, gab es Szenenappalus. 88 Punkte. © dpa
Platz 9: Bassim vertrat das Gastgeberland Dänemark: Sein
Platz 9: Bassim vertrat das Gastgeberland Dänemark: Sein "Cliche Lovesong" erinnerte an die besseren Zeiten von Take That. 74 Punkte. © dpa
Platz 10: Ruth Lorenzo aus Spanien mit 'Dancing in the Rain'. Echter Regen von der Hallendecke, aber warum singt eine Spanierin englisch? 74 Punkte.
Platz 10: Ruth Lorenzo aus Spanien mit 'Dancing in the Rain'. Echter Regen von der Hallendecke, aber warum singt eine Spanierin englisch? 74 Punkte. © Getty Images
Platz 11: Finnland. Die Band Softengine spielte
Platz 11: Finnland. Die Band Softengine spielte "Something Better", das auch von den "Killers" sein könnte. 72 Punkte. © dpa
Platz 12: Rumänien. Paula Seling & OVI mit dem Song
Platz 12: Rumänien. Paula Seling & OVI mit dem Song "Miracle". OVI spielte auf einem kreisrunden Klavier. Das Tolle daran: Es spielte auch ohne ihn weiter. 72 Punkte. © dpa
Platz 13: Sebalter aus der Schweiz mit
Platz 13: Sebalter aus der Schweiz mit "Hunter of Stars". Weißes Hemd, schwarze Weste und Geige - damit wurden auch schon ESCs gewonnen. Hier aber nur: 64 Punkte. © dpa
Platz 14: Donatan & Cleo repräsentierten Polen mit
Platz 14: Donatan & Cleo repräsentierten Polen mit "My Slowianie - We are Slavic". Satire im Text, Softporno am Bühnenrand. 62 Punkte, davon 10 aus Deutschland. © dpa
Platz 15: Pollapoenk aus Island und ihr Lied
Platz 15: Pollapoenk aus Island und ihr Lied "No Prejudice". Eine fröhliche Punk-Nummer, vorgetragen von den bestangezogenen Herren des Abends. 58 Punkte. © dpa
Platz 16: Weißrusslands Ricky Martin heißt Teo. Sein Latin-Beitrag
Platz 16: Weißrusslands Ricky Martin heißt Teo. Sein Latin-Beitrag "Cheesecake" bekam 43 Punkte. © dpa
Platz 17: Molly aus Großbritannien hätte ihren Song
Platz 17: Molly aus Großbritannien hätte ihren Song "Children of the Universe" auch für den Soundtrack von "Mad Max 2" einspielen können. 40 Punkte. © dpa
Platz 18: Elaiza aus Deutschland mit
Platz 18: Elaiza aus Deutschland mit "Is it right". Sympathische Frauen, aber ein kraftloser Auftritt. 39 Punkte. © dpa
Platz 19: Sergej Cetkovic, aus Montenegro mit
Platz 19: Sergej Cetkovic, aus Montenegro mit "Moj Svijet". Flötentöne wie im "Titanic"-Soundtrack. Und einer der wenigen, der noch in Landessprache singt. 37 Punkte. © Getty Images
Platz 20: Freaky Fortune feat. RiskyKidd sind der Beitrag Griechenlands. Eine Eurodance-Nummer mit den Posen der Neunziger - und einem Trampolin auf der Bühne! 35 Punkte.
Platz 20: Freaky Fortune feat. RiskyKidd sind der Beitrag Griechenlands. Eine Eurodance-Nummer mit den Posen der Neunziger - und einem Trampolin auf der Bühne! 35 Punkte. © dpa
Platz 21: Emma aus Italien sang das rockige
Platz 21: Emma aus Italien sang das rockige "La Mia Città". Gianna Nannini ließ grüßen. 33 Punkte. © dpa
Platz 22: Dilara Kazimova Aserbaidschan sang
Platz 22: Dilara Kazimova Aserbaidschan sang "Start A Fire". Trotz Trapezartistik hoch über der Bühne nur: 33 Punkte. © dpa
Platz 23: Firelight aus Malta, die mit dem folkigen
Platz 23: Firelight aus Malta, die mit dem folkigen "Coming Home" antraten. 32 Punkte. © dpa
Platz 24, der drittletzte: Valentina Monetta aus San Marino mit
Platz 24, der drittletzte: Valentina Monetta aus San Marino mit "Maybe". Sie stand in einer Muschel, am Klavier saß das ESC-Urgestein Ralph Siegel. 14 Punkte. © Getty Images
Platz 25: Tinkara Kovac aus  Slowenien mit Querflöte und
Platz 25: Tinkara Kovac aus Slowenien mit Querflöte und "Round and around". Eine Mischung aus Königsdrama und Jethro Tull. 9 Punkte. © dpa
26 Platz: Twin Twin aus Frankreich verbreiteten mit ihrem Song
26 Platz: Twin Twin aus Frankreich verbreiteten mit ihrem Song "Moustache" und einer lebhaften Choreographie gute Laune. Europa dankte es ihnen mit dem letzten Platz - 2 Punkte. © dpa
Und das waren die Moderatoren: Pilou Asbaek, Lise Ronne and Nikolaj Koppel.
Und das waren die Moderatoren: Pilou Asbaek, Lise Ronne and Nikolaj Koppel. © Getty Images
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