Essen. . Arte zeigt, was an der Front geschah – und was dahinter. Die Dokumentation „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ zeigt Gesichter und Geschichten, Leid und Liebe, Leben und Sterben. Der Krieg erhält ein Gesicht. Eines? Viele!

Elfriede Kuhr hätte gern ihren ersten Kuss einem Leutnant auf die Lippen gedrückt, aber sie ziert sich, und dann ist er plötzlich tot, als Flieger abgeschossen vom Feind. Marie Pireau will zu ihrem Paul an die Front, weil sie ihn so sehr vermisst und ein Kind von ihm möchte. Karl Kasser, Sohn eines österreichischen Bauern, will nicht auf dem sogenannten Feld der Ehre sterben, ganz im Gegensatz zu Ernst Jünger, dessen aufgeschriebene Kriegsschwärmereien und Männerphantasien später vor allem Rechtsradikale gern zitieren.

Der Krieg ist eben nie nur eine Geschichte des politischen Versagens, der tödlichen Schlachten und der grauenhaften Statistiken, dessen, was wir in den Geschichtsbüchern vorfinden. Er ist vor allem auch ein Sammelsurium von Millionen Schicksalen, beinahe jedes wert, erzählt zu werden.

Ungeheure Nähe durch den Blick aufs Persönliche

Einem faszinierenden europäischen Filmprojekt unter deutscher Federführung ist das beispielhaft gelungen: „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ (Dienstag, Arte, 20.15 Uhr) mischt in acht thematisch sortierten Kapiteln das Dokumentarische mit den privaten Aufzeichnungen von 14 Menschen quer über den Globus: Deutsche, Engländer, Italiener, Franzosen, Russen, auch eine australische Klavierlehrerin, die in Leipzig lebt. Der Schriftsteller Ernst Jünger ist der einzige, den man kennt.

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Die Erlebnisse dieser Kriegszeugen oder -teilnehmer, daheim oder im Schützengraben, werden szenisch gespielt, anders jedoch als man es in vielen dieser oft etwas steifen Mischformen erlebt, mit spürbarer Qualität bei der Inszenierung und in der Darstellung. Hier sind überwiegend junge, sehr engagierte Schauspieler am Werk, die weit mehr sind als bloße Transportierer einer höheren historischen Wahrheit. Über sie nähern wir uns dem herrschenden Zeitgeist, den moralischen Zwängen oder auch erotischen Freiheiten, dem Familienleben in der Stadt oder auf dem Lande, den Ängsten und Hoffnungen der Soldaten an der Front. Und wir werden zu Zeugen, wie sich die anfängliche Kriegseuphorie mit den ersten persönlichen Verlusten ins Zweifeln und Verzweifeln dreht.

Ganz nah an der Lebenswirklichkeit der Menschen

Regisseur Jan Peter schafft durch den Blick aufs Persönliche, auf die Lebenswirklichkeit von Menschen, die unsere Nachbarn sein könnten, eine ungeheure Nähe, auch Mitgefühl, ohne ins Melodramatische des Unterhaltungskinos abzugleiten. Darin liegt die besondere Stärke dieser gewaltigen Produktion, an der 19 europäische Sender mitgewirkt haben.

Die größte Überraschung besteht allerdings im Archivmaterial aus diesen Jahren, das man so reichhaltig und hochwertig kaum erwartet hätte. Über 200 Stunden auf Filmrollen haben die Macher ausgewertet, in der Kombination mit dem Spiel entfalten sie ihre authentische Kraft. Zwar werden sie zur Einordnung erzählerisch begleitet, aber dozierende Historiker lässt Jan Peter nicht zu. Sie durften nur beraten. Und das tut dieser Reihe ausgesprochen gut.