Paris. Der Millionen-Räuber Tony Musulin begeistert immer mehr Franzosen. Im Internet wird er regelrecht als Held verehrt. Selbst T-Shirts gibt es schon von ihm. Musulin hatte vergangene Woche einen Geldtransporter entführt. Der Fall wie der Täter selbst geben der Polizei Rätsel auf.

Für die französische Polizei ist Tony Musulin derzeit der meistgesuchte Kriminelle der Republik, in seiner Fangemeinde im Internet hat der mutmaßliche Millionen-Euro-Räuber hingegen bereits eine Art Heldenstatus erlangt. In Tausenden von Einträgen vergleichen ihn seine glühenden Bewunderer bereits mit dem berühmten Kino-Meisterdieb Arsène Lupin. Die Woge der Sympathie für den Millionen-Gangster schwillt derart an, dass bei der Justiz allmählich Zweifel an der Gesetzestreue der Franzosen aufkommen.

Allein bei Facebook, einer der führenden Internetplattformen mit weltweit 300 Millionen Nutzern, surft eine regelrechte "Musulin-Community" mit bereits Tausenden Mitgliedern auf der "Musulin-Welle". Mit einer Mischung aus Bewunderung und Ehrfurcht verneigen sie sich vor dem mutmaßlichen "Tresorknacker". "Genial, und das alles ohne Gewalt. Chapeau!", applaudiert einer, während ein anderer schreibt: "Hey Tony, hast du noch einen Platz in deinem Laster?"

Für viele drehte Musulin das "Jahrhundertding"

Für viele ist seine Tat schlichtweg "le coup du siècle", "das Jahrhundertding". Seine Tat beflügelt die Phantasien. "Ich werde meinen Lebenslauf aufpolieren und mich bei Brinks bewerben", schwärmt einer. Besonnene Stimmen sind in der Minderheit. "Arme Franzosen", bemerkt einer im Leserforum von "Le Point", "hier applaudieren sie, aber wenn sie zwei Prozent für die Sozialversicherung zahlen müssen, gehen sie auf die Barrikaden."

Am vergangenen Donnerstag hat der 39-jährige Musulin, Fahrer eines Geldtransporters, allein das Weite gesucht, als seine beiden Kollegen in einer Lyoner Bank gerade Geld abholten. An Bord des gepanzerten Wagens befanden sich mindestens 49 Säckchen mit nagelneuen 500-, 50- und 5-Euro-Scheinen: insgesamt 11,6 Millionen Euro. Am Montag stellten die Fahnder 9 Millionen Euro in einem Renault Kangoo sicher, den Musulin in einer Garage in Lyon abgestellt hatte. Von ihm selbst fehlt weiter jede Spur.

Viele Rätsel

Es ist ein Kriminalfall, der die Ermittler vor große Rätsel stellt. War Tony Musulin ein Einzeltäter oder hatte er Komplizen? Fest steht, dass am Donnerstag massiv gegen die strengen Sicherheitsvorschriften verstoßen wurde. Denn mindestens ein Mann hätte den Transport sichern müssen, als Musulin am Steuer saß. Merkwürdig auch: Normalerweise dürfen nicht mehr als sechs Millionen Euro an Bord eines Geldtransporters sein. Eine Höchstgrenze, die in Lyon weit überschritten wurde. Hinzu kommt: Offenbar war kein einziger Geldschein aus den Beständen der "Banque de France" registriert. Die Beute in Umlauf zu bringen, dürfte für Musulin also ein Kinderspiel sein.

So rätselhaft der Millionenraub, so geheimnisvoll das Leben des Gangsters. Obwohl Tony Musulin, seit zehn Jahren in Diensten des Geldtransportunternehmens Loomis France steht und nur weniger als 2000 Euro im Monat verdiente, hatte er 100.000 Euro auf die hohe Kante gelegt. Das Konto löste er vor einer Woche auf. Außerdem besaß er neben einem alten Peugeot noch einen Ferrari, ein Luxusgefährt, das er nur sehr diskret nutzte und im April schließlich als gestohlen meldete.

Händler bietet Tony-Hemden an

Überhaupt gab sich der Millionenräuber nach außen hin eine äußerst harmlose Fassade. Nach der Trennung von seiner Verlobten Hélène, in deren Kneipe "Leo Tolstoi" er zeitweilig aushalf, quartierte er sich in der Lyoner Banlieue nur wenige Meter weiter in ein preiswertes Altbauappartement ein.

Sowohl bei Loomis als auch in der Fitnessbude um die Ecke, in der er in seiner Freizeit seinen muskulösen Körper trainierte, galt er als unauffälliger und schweigsamer Typ. "Er war sehr höflich", zitiert die Zeitung "France Soir" einen Anwohner. "Keinerlei Beanstandungen" heißt es bei Loomis, der Nummer 1 in Frankreichs Geldtransportbranche.

Hélène, die Ex-Verlobte, beschreibt den aus Serbien stammenden Musulin als einen "intelligenten Mann". "Er war überhaupt kein Zocker", sagt sie der Zeitung "Libération". Gleichzeitig gibt sie zu Protokoll, dass er eine Firma für Luxuskarossen gegründet hatte, die ihre Geschäfte "im Norden und Osten Frankreichs" abwickelte. Außerdem soll er seine Hand in Immobiliengeschäften gehabt haben.

Für Staatsanwalt Xavier Richard steht fest, dass Musulin den Coup mit großer Präzision geplant hat. Denn in seiner Wohnung hat er keinerlei Spuren hinterlassen: Der Kühlschrank war komplett ausgeräumt, sogar die Bettwäsche hatte er abgezogen.

Je länger Tony Musulin auf der Flucht ist, desto größer der Rummel um seine Person. Vorläufiger Höhepunkt: Ein T-Shirt-Verkäufer bietet im Internet bereits "Tony"-Hemden für 18 bis 22 Euro an.