Berlin. Vor zwölf Jahren löste der erste Pisa-Test für Schüler einen Schock in Deutschland aus, weil er erhebliche Wissenslücken der 15-Jährigen offenbarte. Nun veröffentlichte die OECD ihren ersten Pisa-Test für Erwachsene: Geschockt müssen die Deutschen nicht sein, stolz macht das Ergebnis aber auch nicht.
Deutschland hat beim ersten internationalen "Pisa"-Test für Erwachsene nur mittelmäßig abgeschnitten. Die Lesekompetenz der 16- bis 65-Jährigen hierzulande liegt unter dem Durchschnitt von 24 Industriestaaten, die mathematischen Alltags-Fertigkeiten sind dagegen etwas besser als im internationalen Durchschnitt.
In keinem Feld kommt Deutschland aber an die Spitzengruppe heran, zu der vor allem Japan, Finnland, Schweden und die Niederlande gehören. Das ist das Ergebnis einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die erstmals das Alltagswissen von Erwachsenen prüfte.
Die Haupt-Botschaft dieser ersten PIAAC-Untersuchung (Programm zur Bewertung von Erwachsenen-Kompetenzen) ist allerdings eine andere: In beinahe allen untersuchten Industrieländern, auch in Deutschland, hat ein erheblicher Anteil der Erwachsenen nur minimale Kenntnisse im Lesen (OECD-Schnitt: 15,3 Prozent) und Rechnen (19 Prozent) - und oftmals nicht einmal Basiskenntnisse im Umgang mit Computern. In Deutschland konnte zum Beispiel jeder achte Testteilnehmer eine Maus am Computer nicht bedienen oder scheiterte an anderen Grundanforderungen.
OECD fordert mehr Weiterbildungen für Berufstätige
Die OECD fordert daher nicht nur eine bessere frühkindliche Bildung, sondern auch mehr Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Berufstätige - andernfalls werde der technologische Wandel behindert.
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Zwölf Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Pisa-Tests für Schüler, der in Deutschland wegen des schlechten Abschneidens damals einen "Pisa-Schock" ausgelöst hatte, wollte die OECD nun ähnliche Fertigkeiten bei den Erwachsenen prüfen: Lesen, Rechnen und Problemlösung mittels Computer - bei der aufwändigen Untersuchung, wurden allein in Deutschland 5465 Menschen und insgesamt 166.000 Teilnehmer - repräsentativ ausgewählt - befragt.
Aufgaben beinhalteten auch Medikamente-Beipackzettel
Sie sollten einfache Fragen zu einem Text beantworten, Beipackzettel für ein Medikament verstehen, mit einem Reservierungssystem im Internet umgehen, Preisnachlässe im Supermarkt oder das Kilometergeld für aufgelistete Dienstfahrten berechnen können. In einem dritten Durchgang wurden Computer-Grundkenntnisse überprüft.
Einen Schock wird das Ergebnis in Deutschland kaum auslösen, Nachdenklichkeit wohl schon: Im Aufgabenfeld Lesen - Verstehen, Interpretieren und Bewerten von Texten - erzielten die Teilnehmer hierzulande 270 Punkte, der OECD-Schnitt liegt bei 273 Punkten. Japan kam auf 296 Punkte, Finnland auf 288. Sieben Punkte auf der Kompetenzskala entsprechen etwa einem Schuljahr.
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17,5 Prozent der Deutschen können nur schlichte Texte verstehen
Auch in den höchsten Lese-Kompetenzstufen waren in Deutschland weniger Testpersonen vertreten (10,7 Prozent) als im Durchschnitt der OECD-Staaten (11,8 Prozent). Parallel liegt der Anteil derjenigen, die allenfalls kurze Texte mit schlichtem Vokabular verstehen können, in Deutschland mit 17,5 Prozent etwas höher als in der OECD insgesamt (15,3 Prozent). Und: In kaum einem anderen Land hängt die Lesekompetenz so sehr vom Bildungsstand der Eltern ab. Befragt wurden Erwachsene, die in dem Teilnehmerland lebten, unabhängig von Staatsangehörigkeit oder Muttersprache.
Besser schneiden Bürger in Deutschland beim Bewältigen mathematischer Alltagsaufgaben ab: Die erzielten 272 Punkte liegen etwas über dem OECD-Durchschnitt von 269 Punkten - Japan kommt auf 288 Punkte, Finnland auf 282. In Deutschland war auch die Spitzengruppe etwas größer als im Vergleich aller 24 Staaten. Dennoch kamen auch hierzulande 18,5 Prozent der Testpersonen nicht über das grundlegendste Niveau von einfachem Zählen, Sortieren und Anwendung der Grundrechenarten hinaus.
"Bewegung zwischen Generationen zeigt Gestaltungsmöglichkeiten"
Vor die größten Herausforderungen habe die Teilnehmer aber die Problemlösung mittels Computer gestellt, heißt es in dem 466-Seiten-Bericht. Die Bundesrepublik liegt auch hier im Mittelfeld: Knapp 13 Prozent hatten keinerlei Erfahrung mit Computern oder scheiterten an grundlegenden Anforderungen.
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Die meisten Testteilnehmer vermochten lediglich mit vertrauten Anwendungen wie dem Einsortieren von E-Mails in bestehende Ordner umzugehen - komplexere Aufgaben bewältigten international nur 34 Prozent, in Deutschland 36 Prozent.
Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen: Die 25- bis 34-Jährigen schnitten in allen Feldern besser ab als die Älteren. Die OECD leitet daraus eine positive Botschaft ab: "Die Bewegung zwischen den Generationen zeigt, dass Kompetenzen gestaltbar sind." Länder wie Korea und Finnland hätten mit gezielter politischer Förderung enorme Fortschritte erzielt.
OECD-Generalsekretär Angel Guerria erklärte: "Die zentrale Botschaft dieser Erhebung lautet, dass das, was Menschen wissen und mit diesem Wissen anfangen, wesentliche Auswirkungen auf ihre Lebenschancen hat."
So sei der mittlere Stundenlohn von Arbeitskräften, die eine hohe Lesekompetenz hätten, über 60 Prozent höher als bei Arbeitskräften, die allenfalls kurze Texte lesen könnten.Das Fehlen solcher Kompetenzen könne nicht nur die Einführung neuer Technologien behindern, es habe auch Folgen für den sozialen Zusammenhalt, warnt die OECD.