Göttingen. Im Göttinger Transplantationsskandal muss sich ab Montag erstmals ein Arzt wegen der gezielten Manipulation von Krankenakten vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Chirurgen versuchten Totschlag in elf Fällen vor, weil durch gefälschte Krankenakten dessen Patienten bevorzugt Organe erhielten, während andere leer ausgingen und möglicherweise starben.

Zum Auftakt des Prozesses um mehrfachen Betrug bei Organtransplantationen hat der angeklagte Mediziner alle Vorwürfe zurückgewiesen. Der frühere Leiter der Göttinger Transplantationsmedizin bestritt am Montag vor dem Landgericht Göttingen in einer Erklärung seiner Verteidiger, Manipulationen bei der Verteilung von Organen vorgenommen oder veranlasst zu haben.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 46-jährigen Arzt versuchten Totschlag in elf und Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen vor. Der Mediziner soll manipulierte medizinische Daten an die zentrale Vergabestelle Eurotransplant gemeldet haben, um schneller Spenderorgane für seine Patienten zu bekommen. Dabei soll er in Kauf genommen haben, dass andere schwer kranke Menschen kein Spenderorgan erhielten und deshalb möglicherweise starben.

Bei dem Prozess handelt es sich um das bundesweit erste Verfahren, in dem einem Arzt nach Manipulation von Patientendaten ein Tötungsdelikt vorgeworfen wird. Rechtsexperten sprechen von juristischem Neuland.

Arzt sitzt seit Januar wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft

Der Mediziner sitzt seit Januar wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Bei der Verlesung der Anklage schüttelte er mehrfach den Kopf. "Ich war Tag und Nacht für die Patienten bereit", betonte er vor Gericht zu seinem Handeln. Sein Beruf als Arzt sei eine Lebensaufgabe für ihn gewesen. Selbst von Kongressen aus, etwa aus China, sei er immer erreichbar gewesen.

Die Staatsanwältin forderte während der Verlesung der Anklage, dem Arzt müsse die Ausübung seines Berufes verboten werden. Die Verteidigung bezeichnete die Vorwürfe dagegen als absurd. Niemand sei zu Schaden gekommen, dies sei inzwischen nachgewiesen. Auch ein nachvollziehbares Motiv für die Verbrechen könne die Staatsanwaltschaft nicht nennen, erklärten die Verteidiger.

Verteidiger macht Staatsanwalt für Rückgang an Organspendern verantwortlich

Die Anwälte gingen anschließend in die Offensive: Sie machten die Staatsanwaltschaft für den Rückgang an Organspendern in Deutschland verantwortlich. Die Behörde habe ein Zerrbild des Arztes gezeichnet und ihn fälschlich als Verbrecher und "verantwortungslosen Halunken" dargestellt, der sich die Taschen vollstopfe, sagte Anwalt Steffen Stern. Dabei habe der Mediziner in keinem Fall finanziell partizipiert.

Außerdem führte der Anwalt an, selbst wenn wahrheitswidrige Angaben bei Eurotransplant gemacht worden wären, wäre dies kein Fall für das Gericht gewesen. Denn eine entsprechende Strafvorschrift habe es zum maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht gegeben.

Nach Bekanntwerden des Falls, der im vergangenen Sommer bundesweit Schlagzeilen gemacht hatte, sank die Bereitschaft zur Organspende merklich. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organspende ging die Anzahl der Organspender seither um fast 20 Prozent zurück.

In diesem bundesweit ersten Prozess, in dem ein Arzt nach Manipulation von Patientendaten ein Tötungsdelikt vorgeworfen wird, sehen Rechtsexperten juristisches Neuland. Sie halten es vor allem für problematisch, dass nicht klar nachgewiesen werden kann, wer die Geschädigten sind. Der Prozess dürfte deswegen sehr langwierig werden. Bislang sind bis Mai 2014 mehr als 40 Verhandlungstage angesetzt. (dpa/afp)