Oslo. . Da staunen die Bürger von Oslo, Norwegen, nicht schlecht: Ihr derzeitiger Premierminister ist einen Tag lang Taxi gefahren. So wolle er die Nähe zum Volk wiederherstellen. Kurz vor den Wahlen im September versucht der Minister einiges, um Stimmen für seine Partei zu ergattern. Nicht jeder Gast hat ihn sofort erkannt.
Am Steuer sitzt der Ministerpräsident. Im Taxi. In blauer Chauffeurs-Uniform. Jens Stoltenberg gibt sich volksnah, denn genau das spricht man ihm ab. Er muss was tun. Alle Umfragen in Norwegen gehen davon aus, dass er am 9. September abgewählt wird. Und jetzt macht der 59-Jährige aus einer Top-Politiker-Familie seiner „Arbeiderparti“ für einen Nachmittag in Oslo alle Ehre. Die versteckte Kamera ist natürlich dabei. Bilder sind wichtig im Wahlkampf.
Die Fahrgäste erkennen den Ministerpräsidenten zunächst meist nicht. „Wenn ich dich so von hier hinten angucke, siehst du aus wie der Premier“, sagt ein Rentner zu dem vermeintlichen Taxifahrer und beugt sich von der Rückbank etwas weiter nach vorne, um den Chauffeur von „Taxi Oslo“ durch seine Brille genauer anzusehen. „Ich sehe also aus wie Stoltenberg“, fragt der Mann am Steuer knapp aber freundlich.
Die Kupplung lässt er zu schnell kommen
Nachdem sie ihren Taxi-Fahrer erkannt hat, sagt eine alte Dame mürrisch: „Ich habe ja so ein Glück. Ich wollte dir nämlich einen Brief schreiben. Es geht um das mit den Chef-Gehältern. Die sollten keine Millionengehälter haben.“ Es sei schwer, das zu stoppen, antwortet der Premier vom Lenkrad aus, immer einen konzentrierten Blick auf die Straße. „Die überbieten sich ja gegenseitig bei den Löhnen“, sagt er. Die Frau unterbricht ihn unwirsch: „Aber du als Ministerpräsident!“ Stoltenberg: „Also ich bestimme nicht ganz alleine über unsere Unternehmen.“
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Ein junger Mann steigt später ein. „Arbeitest du jetzt als Taxifahrer?“, fragt der Fahrgast nach einer Weile zögerlich. „Ja“, antwortet Stoltenberg wieder knapp. „Ein wenig dazuverdienen, was?“, meint der junge Mann. Ab und zu ruckelt es nicht unerheblich. Stoltenberg lässt die Kupplung öfter mal zu schnell kommen. „Es ist acht Jahre her, dass ich ein Auto gefahren bin“, entschuldigt er sich. Eine Norwegerin mit afrikanischen Wurzeln meint lachend: „Naja, ich lebe ja noch!“
Auch dass eine Frau mit südländischem Aussehen von Stoltenberg gefahren wird, ist nicht unerheblich. Denn viele Wähler fordern von den Sozialdemokraten, die Einwanderung zu begrenzen. „Wenn Menschen sagen, was sie denken, dann ist das im Taxi“, begründet Stoltenberg seine ungewöhnliche Werbekampagne. Er könne sich durchaus vorstellen, dies wieder zu machen, „um dem Volk den Puls zu fühlen“, fügt er hinzu. Nach acht Jahren an der Macht, ungefähr so lange wie Stoltenberg nicht mehr Auto gefahren ist, wird seiner rot-grünen Regierung bei den Parlamentswahlen am 9. September eine herbe Niederlage vorhergesagt.
Oppositionslager ist enorm groß
Zwar gewann seine Arbeiterpartei in den Sommerumfragen leicht hinzu, aber der Abstand zum bürgerlichen Oppositionslager, inklusive der fremdenfeindlichen Fortschrittspartei, der auch Massenmörder Anders Behring Breivik angehörte, ist noch immer groß. Es müsse schon ein Wunder geschehen, tönen Stoltenbergs Gegner. Dieses Wunder könnte die Taxifahrt des Ministerpräsidenten werden, glauben einige norwegische Kommentatoren.
Denn Stoltenberg wirkt im Video Respekt einflößend, aber auch nicht ohne Selbstironie. Da ist der Vater von zwei Söhnen plötzlich Mensch. Lange hat die „Arbeiderparti“ vor allem Stimmen an die norwegischen Rechtspopulisten verloren – weil sie den einfachen Norwegern zu volksfern geworden ist.
Hinzu kommt, dass viele Jens Stoltenbergs ärgste Gegnerin, Erna Solberg, die 52-jährige Spitzenkandidatin der Bürgerlichen, sympathischer finden. Die Frau stammt aus einer Straßenbahnfahrer-Familie und gab sich bislang volksnäher als der „Arbeiteraristokrat“.