Madrid/Rabat. . Ein Pädophilen-Skandal löst in Marokko eine Welle der Empörung aus. König Mohammed VI. steht am Pranger. Aber auch in Spanien müssen sich König Juan Carlos und die konservative Regierung auf äußerst unbequeme Fragen gefasst machen.
"Das ist eine Schande, die Kinder des Volkes sind in Gefahr!", schrien die Demonstranten, bevor sie von Stoßtrupps der marokkanischen Polizei niedergeknüppelt und auseinandergetrieben wurden. Die Kundgebung vor dem Parlament in Rabat lösten die Beamten zwar ebenso schnell wie brutal auf, die Wut über die Begnadigung eines spanischen Kinderschänders durch König Mohammed VI. konnten sie aber keinesfalls eindämmen. Im Gegenteil: Die wütenden Bürger wollen nun aus allen Landesteilen nach Casablanca fahren und dort am Dienstag und Mittwoch mit vereinten Kräften noch lauter protestieren.
Eine für Marokko ungewöhnliche Welle der Empörung und des Zorns geht während des Ramadans durchs nordafrikanische Land. "Erstmals wird bei uns eine persönliche Entscheidung des Königs in Frage gestellt", erklärte der Menschenrechtsaktivist Fouad Abdelmoumni der spanischen Zeitung "El País". Die Begnadigung sei unverantwortlich gewesen und schaffe ein großes Sicherheitsproblem für das Land, fürchtet er. Auch der Präsident des Menschenrechts-Verbandes AMDH, Ahmed Al-Haj, klagt: "Diese Maßnahme fördert die Straflosigkeit."
Hilfsorganisation schätzt in Marokko 26.000 Kindesmisshandlungen pro Jahr
Der sexuelle Missbrauch von Kindern war in Marokko schon vor dem Fall des 2011 zu 30 Jahren Haft verurteilten und nun auf freien Fuß gesetzten 64-jährigen Daniel Fino Galván ein zündstoffgeladenes Thema. Die Nichtregierungsorganisation "Touche pas à mon enfant" (Fasse mein Kind nicht an) schätzt die Zahl der jährlich im Königreich vergewaltigten Kinder auf 26 000 - 71 pro Tag also. Auf das Konto der gut organisierten Pädophilennetze - die vor allem im Jet-Set-Ambiente von Marrakesch tätig sind - geht ein beträchtlicher Teil dieser Verbrechen.
Zu den Kunden gehörten in den vergangenen Jahren nach Erkenntnissen der Menschenrechtler auch viele mächtige Politiker und Unternehmer europäischer Länder. "Das Land ist als eines der größten Sextourismusziele der Welt bekannt", schreibt das Nachrichtenportal "Maghreb Emergente". In den vergangenen Monaten hatten sich die Skandale gehäuft. Im Mai wurde ein 60-jähriger Franzose zu zwölf Jahren Haft verurteilt, im Juni wurde ein Brite als Verdächtiger dingfest gemacht. Besonders große Empörung löste der Fall der kleinen Wiam aus. Die Zehnjährige wurde von einem Familienvater 20 Mal vergewaltigt und mit einer Sichel verletzt. "Das hat das Fass zum überlaufen gebracht", meint "Touche pas"-Präsidentin Najat Anouar.
Kinderschänder wurde von Marokkos König Mohammed VI. begnadigt
Ob Galván deshalb unter den 1044 Gefangenen war, die Mohammed VI. anlässlich des Thronfestes begnadigte, weil er ein geborener Iraker ist, der sich als Spion des spanischen Geheimdienstes beim Sturz von Diktator Saddam Hussein verdient gemacht hat, wie "El País" schreibt, steht in den Sternen. Fest steht aber, dass er sich 2005 in Kenitra im Norden Marokkos niedergelassen und allen erzählt hat, er sei ein Uni-Professor im Ruhestand. Er hat Feste für die Nachbarskinder organisiert, elf Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 4 und 15 Jahren vergewaltigt und seine Taten gefilmt - vermutlich, um das Material zu verkaufen. "Er hat sich bei seinen Taten die finanziellen Probleme der Nachbarn zunutzegemacht", stellte das Gericht fest.
Die Folgen des königlichen Fauxpas sind noch nicht abzusehen. In Spanien muss sich König Juan Carlos auf unbequeme Fragen gefasst machen, weil er Mohammed bei einem Besuch in Marokko Mitte Juli um die Freilassung von Spaniern als "Akt der Freundschaft" gebeten hatte. Den Namen Galván nannte er nicht. Tat das die konservative Regierung oder, wie "El País" meint, der spanische Geheimdienst CNI?
In Marokko, wo der arabische Frühling bislang folgenlos blieb, könnten die Konsequenzen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene derweil noch bedeutender sein, meinen Beobachter. "Die Jugend Marokkos hat Mohammed mehrfach, zuletzt bei den großen Demos von 2001, klar gemacht, dass die Feuerepoche von Hassan II. längst vorbei ist, und dass die Bevölkerung bei Unzufriedenheit nicht zögern wird, die Monarchie zur Rechenschaft zu ziehen", schrieb jetzt das Nachrichtenportal "Afrik". Und wie schrien noch einige jugendliche Fußballfans am Freitag in Rabat?: "Die Monarchie ist verfault!" (dpa)