Santiago de Chile. Ein elfjähriges chilenisches Mädchen ist jahrelang von seinem Stiefvater vergewaltigt worden. Jetzt ist das Kind schwanger. “Belén“, wie das Mädchen genannt wird, will das Baby zwar bekommen - aber der Fall hat eine hitzige Diskussion über das Thema Abtreibung in Chile ausgelöst. Bisher ist sie strikt verboten.

Der Vorfall erschüttert Chile: Ein elfjähriges Mädchen wurde von seinem Stiefvater zwei Jahre lang missbraucht und vergewaltigt. Das Kind ist nun schwanger, will das Baby aber austragen. Seit sie im Fernsehen auftrat, ist in dem Land eine hitzige Diskussion entbrannt, denn in Chile herrscht ein striktes Abtreibungsverbot. Der Fall könnte zum Wahlkampfthema werden - im November sind Präsidentschaftswahlen.

Das von den Medien "Belén" genannte Mädchen ist in der 14. Woche schwanger. Es war die Großmutter der Elfjährigen, die den Fall im südchilenischem Puerto Ocay in der Nähe des Touristenortes Frutillar anzeigte. Die Mutter des Mädchens rechtfertigte dagegen die Beziehung der Tochter mit ihrem Partner, weil sie "einvernehmlich" gewesen sei. Der 32-jährige Mann sitzt in Untersuchungshaft.

Belén äußerte sich im Fernsehen und sagte, sie wolle das Kind haben: "Es wird wie eine Puppe in meinen Armen liegen, ich werde es sehr lieben, auch wenn es von dem Mann kommt, der mir Schaden zufügte, ich werde es trotzdem lieben." Weitere Äußerungen Beléns in den Medien wurden danach gerichtlich untersagt.

Ex-Präsidentin Bachelet für Entkriminalisierung der Abtreibung in Vergewaltigungsfällen

Staatschef Sebastián Piñera würdigte die Reife des Mädchens. Santiagos Erzbischof Ricardo Ezzati vertrat den Standpunkt, man müsse "in der Lebensweisheit fortschreiten", damit sich solche Fälle nicht wiederholten. Und dies bedeute, das Leben von Geburt an zu schützen. Chiles Ex-Präsidentin Michelle Bachelet, die als Oppositionskandidatin Favoritin für die nächsten Wahlen ist, sprach sich dagegen für die Entkriminalisierung der Abtreibung in Vergewaltigungsfällen aus.

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In Chile wurde 1931 die sogenannte therapeutische Abtreibung eingeführt. Damit sollte ein Schwangerschaftsabbruch etwa nach einer Vergewaltigung möglich sein oder bei Gefahr für Leib und Leben der Mutter. Die Diktatur Augusto Pinochets (1973-1990) setzte jedoch diese Gesetzgebung außer Kraft und verankerte im Gesundheitskodex das Verbot "aller Handlungen, die zu einer Abtreibung führen könnten". Verschiedene parlamentarische Initiativen linker Parteien für eine Wiedereinführung der sogenannten therapeutischen Abtreibung scheiterten am Widerstand der Rechtsparteien und den Christdemokraten. Eine der Folgen: Jährlich werden in Chile schätzungsweise 150.000 illegale Abtreibungen vorgenommen.

150.000 illegale Abtreibungen jährlich, schätzen Experten

Für zusätzliche Entrüstung sorgte der Abgeordnete Issa Kort, der erklärte, die Elfjährige sei "vorbereitet, um Mutter zu werden". Es seien nicht die idealen Zustände, aber nach seinem Verständnis seien Frauen ab ihrer ersten Menstruation für die Mutterschaft vorbereitet. Der Parlamentarier der rechtskonservativen Regierungspartei UDI sprach sich gegen jeglichen Schwangerschaftsabbruch aus und befürwortete die Kastration der Vergewaltiger. Der Fall von Belén sei nicht der erste und werde auch nicht der letzte sein. Die Welle empörter Reaktionen veranlasste Kort zu einer öffentlichen Entschuldigung.

In den vergangenen Tagen wurden ähnliche Fälle wie der von Belén durch Medien publik. So sitzt seit Donnerstag ein Mann in Puerto Varas, in der südlichen Region Los Lagos, in Untersuchungshaft, der im Verdacht steht, die minderjährige Tochter seiner Freundin acht Jahre missbraucht zu haben. Die heute 16-Jährige ist in der 33. Woche vom Stiefvater schwanger, wie der Sender Radio Cooperativa berichtete.

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Minderjährige Mädchen in Jugendanstalten zur Prostitution gezwungen

Der Fernsehsender TVN deckte einen weiteren Fall auf: Eine Minderjährige gebar danach vor neun Monaten ein Kind ihres eigenen Vaters, der sie seit ihrem siebten Lebensjahr vergewaltigte. Der Mann wurde in Los Ángeles, in der südchilenischen Region Bío Bío, angezeigt. Er ist aber nach einem Richterspruch bis Prozessbeginn auf freiem Fuß, wie der Sender berichtete. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums brachten im vergangenen Jahr 873 Mädchen im Alter bis zu 14 Jahren in Chile ein Kind zu Welt.

Angeheizt wird die Debatte durch einen Bericht über staatliche Jugendanstalten, wonach dort minderjährige Mädchen systematisch zur Prostitution gezwungen werden. Der Bericht von Unicef und Richterin Mónica Jeldres über die Lebensbedingungen der 6500 Minderjährigen in den Jugendanstalten Chiles enthüllte diese Woche ein vom Anstaltspersonal betriebenes Netz von Prostitution und Drogenmissbrauch. Oppositionsparlamentarier wollen einen Sonderstaatsanwalt einsetzen, die Nichtregierungsorganisation Activa forderte den Rücktritt von Justizministerin Patricia Pérez. (dpa)