Stuttgart. Als Andreas und Heidrun Anschlag lebten sie mehr als zwanzig Jahre unentdeckt in Deutschland: Nun sind die russischen Spione, die vermutlich Alexander und Olga heißen, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Für KGB und SWR lieferten sie “aus nächster Nähe Einblicke in die deutsche Seele“.
Wegen geheimdienstlicher Agententätigkeiten in besonders schweren Fällen hat das Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG) ein russisches Paar zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Gericht verhängte am Dienstag gegen den Angeklagten mit dem Decknamen Andreas Anschlag eine Gefängnisstrafe von sechseinhalb Jahren und gegen seine Frau Heidrun eine Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren. Mehr als zwei Jahrzehnte hatten beide unauffällig in Deutschland gelebt.
Die Richter sahen es als erwiesen an, dass die beiden Angeklagten unter einer falschen Identität in Deutschland gelebt und dabei für den russischen Auslandsgeheimdienst KGB und dessen Nachfolger SWR spioniert hatten. "Sie lieferten ihrem Heimatland aus nächster Nähe Einblicke in die deutsche Seele", sagte die Vorsitzende Richterin Sabine Roggenbrod bei der Verkündung des Urteils. Das Paar habe bei seiner Agententätigkeit eng zusammengearbeitet. Beide seien zum Gelingen ihres Auftrags "wie Zahnräder im Uhrwerk auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen" gewesen.
Regelmäßiger Kontakt per Funk
In Heidruns Aufgabenbereich sei dabei vor allem die Kommunikation mit Russland gefallen. Vor allem über Funk habe sie regelmäßig Kontakt zu ihren Auftraggebern in Moskau gehalten. Bei ihrer Verhaftung im Herbst 2011 in ihrem Wohnhaus im hessischen Marburg hätten die Ermittler die Frau sogar "auf frischer Tat" beim Funken mit der Zentrale ertappt, sagte Roggenbrod.
Ihr Mann sei seit 2008 maßgeblich damit betraut gewesen, eine Quelle aus dem niederländischen Außenministerium zu führen. Ein Beamter aus der Abteilung für Ausländer- und Visa-Angelegenheiten habe ihn gegen Schmiergeldzahlungen in Höhe von mindestens 72.200 Euro regelmäßig mit Berichten seines Arbeitgebers versorgt, darunter eine Vielzahl amtlicher Dokumente über Nato- und EU-Angelegenheiten.
Parteinahe Stiftungen besucht
Zudem sollte das Ehepaar laut Gericht Informationen aller Art aus dem politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und militärischen Bereich aus Deutschland liefern. Hierzu hätten sie auch Vorträge parteinaher Stiftungen und politischer Gesellschaften besucht.
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Das Vorgehen des Paares sei "äußerst konspirativ" gewesen, die Tarnung "nahezu perfekt" sagte Roggenbrod. Bis zuletzt konnte das Gericht die wahre Identität der beiden hauptamtlichen SWR-Mitarbeiter nicht klären. "Wir wissen nicht, wo Sie geboren sind, und wie Sie wirklich heißen", sagte die Vorsitzende Richterin. Unklar sei auch, ob der KGB den Mann und die Frau einst für ihren Auftrag zum vorgeblichen Liebespaar gemacht hatte oder "ob tatsächlich Zuneigung dabei war". Selbst ihre 1991 geborene Tochter hätten beide "in diesem Lügengeflecht" aufwachsen lassen.
Strafmaß für Staatsanwalt "gerechtfertigt"
Sicher sei sich das Gericht nur darin, dass beide russische Muttersprachler seien und nicht wie vorgegeben in Südamerika geborene österreichische Staatsbürger. Ihre richtigen Vornamen lauteten vermutlich Alexander und Olga. Das Alter des Mannes liege wohl bei Mitte 50, das seiner Frau bei Anfang 50.
Andreas Anschlags Verteidiger, Horst-Dieter Pötschke, zeigte sich zum Ende des 28 Verhandlungstage dauernden Prozesses vom Urteil unbeeindruckt. "Dass eine Bestrafung erfolgen würde, damit war zu rechnen", sagte der Anwalt. Bundesanwalt Wolfgang Siegmund bezeichnete das Strafmaß als "gerechtfertigt". Die Angeklagten haben noch die Möglichkeit gegen das Urteil Revision einzulegen. (afp)