Magdeburger Bürger empört über Flutung ihres Viertels
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Magdeburg. Der Magdeburger Stadtteil Rothensee ist überflutet und voll gelaufen wie eine Badewanne. Um ein Umspannwerk zu retten, wurde hier ein Damm geöffnet, die Bürger aber nicht informiert.
Am Tag, nach dem das Wasser kam, ist Rothensee – wie der Name schon sagt. „Vollgelaufen wie eine Badewanne“, sagen die Leute, ein ganzer Stadtteil untergegangen in der Elbe, aufgegeben, klagen die Bürger: „Die haben uns absaufen lassen in Rothensee.“
So haben sie das Umspannwerk gerettet. Den Stromlieferanten für den Norden Magdeburgs, wichtiger noch: für all die Pumpen, die derzeit pumpen um das Leben der Landeshauptstadt. Sie haben es umbaut, tagelang, das Technische Hilfswerk, die Bundeswehr, die sie hier in Sachsen-Anhalt immer noch „Armee“ nennen, und eben stopft die Duisburger Feuerwehr neue Löcher. Das Umspannwerk in Magdeburg-Rothensee kennt jetzt ganz Deutschland aus den Nachrichten, aber wer spricht von den Rothenseern? Oder besser mit ihnen? „Wir hatten und haben keine Infos von der Stadt. Die haben uns allein gelassen.“
Kein Strom, kein Fernsehen - keine Informationen
Sie hatten doch schon seit Freitag keinen Strom mehr, kein Fernsehen also, kein Radio und auch kein Internet. Wie sollten sie ahnen, dass ihr Gebiet „aufgegeben“ wird, wie ein Polizist es ausdrückt? Es gibt viele in Magdeburg, die jetzt schimpfen auf ihre Stadtspitze: „Macht euch keine Sorgen“, habe man dort viel zu lange beruhigt. „Aber wie kann man so was sagen?“, fragt Ursula Joop, „viele Menschen denken doch nicht, die glauben das.“
Irgendwann am Samstag aber, als oben die Straße, die „Damm“ heißt, ihren Sinn nicht mehr erfüllte, hatten die Bürger begonnen, sich selbst zu helfen. Da stand ihnen das Wasser schon im Garten, es kam aus der Kanalisation und „um die Ecke gelaufen in Sturzbächen“, sagt Dirk Hauer, und Angela Göbke hatte ganz in der Nähe schon zwei Tage vorher gesehen: „Das Hafenbecken war übergelaufen.“ Sie packten also Sand in Jutesäcke, Reissäcke aus Asien und Muschelsäcke aus Arabien und bauten sich einen Deich.
„Die haben sich richtig Mühe gegeben“, sagt Dirk Hauer über die jungen Leute, die da schufteten für die Anwohner, die den Fluss schon „Höhe Hecke“ hatten. Bis am Sonntag der Radlader kam. „Sie haben wieder aufgemacht“, sagt der Zahnarzt Werner Ranisch, „wir waren das Bauernopfer.“
Man schob die Säcke einfach weg, und die Elbe kam als reißender Strom vom Damm herab in die tiefer gelegenen Straßen. „Eine Strömung, das können Sie sich nicht vorstellen“, sagt Ranisch, und „da waren sogar Jugendliche, die haben Rafting gemacht, ehrlich wahr“, hat Anwohner Hauer beobachtet.
Bilder wie im Krieg
Eigentlich aber waren die Boote zum Retten da; die Tochter von Christa haben sie mit dem Schlauchboot abgeholt. Christa ist eine Dame mit weißen Locken, sie steht hinter den Sandsäcken und knetet ihr Taschentuch. „Die Tochter“, sagt sie, sei erst zu ihr gekommen mit Mann und Mieze, auf die andere Seite des Flusses, die sie „Ostelbien“ nennen, aber dann wurden auch dort fünf Stadtteile evakuiert, über 23 000 Menschen, und alle zogen weiter mit ihrer Tasche. „Man kann da nicht denken, man vibriert nur“, sagt Christa, aber „alle leben“. Sie wird wohl Monate brauchen, „um die Bilder zu verarbeiten“.
Bilder „wie im Fernsehen, wie im Krieg“, sagt Dirk Hauer. Es gibt Aufnahmen davon, wie die schäumende Flutwelle sich die Straße hinunterstürzt, braun und aufgewühlt, zwischen den Einfamilienhäusern der alten Werkssiedlung hindurch, in die Seitenstraßen, bis an den Fuß der alten Kirche. „Wir konnten nichts mehr machen“, sagt Werner Ranisch, der am Montag eine Wathose braucht auf dem Bürgersteig vor seinem Haus und in seinem eigenen Keller nicht mehr stehen kann. Das gab es noch nie in Rothensee, sagt auch Christa, das hatte überhaupt noch „nie nasse Füße“.
Zwischen dem Gemüse schwimmt ein Koi-Karpfen
Und das Problem ist: Der See ist nicht weg. Das Wasser hat sich beruhigt, aber es steht in den Kellern, in den Straßen, in den Gärten; bei Hauers zwischen dem Gemüse schwimmt ein Koi-Karpfen, sie haben ihn gerettet mitten von der Hohenwarther Straße. Die Menschen hier haben Angst vor dem, was als Nächstes kommt. Nicht, dass ein Deich brechen könnte, „welcher Deich sollte denn hier nicht halten?“, spottet Angela Göbke bitter. Mehr vor dem Müll und den Mücken. Und dass niemand kommt, die Elbe wieder zu vertreiben aus dem Stadtteil. Die Pumpen werden anderswo gebraucht, sie sind immer noch am Umspannwerk, ihr Brummen ist die schaurige Begleitmusik zur Katastrophe, Tag und Nacht. An vielen Tankstellen ist inzwischen „Diesel leider alle“.
Aufräumen nach der Flut
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„Ich hoffe, man wird da jetzt mal schlau draus“, hat Birgit Hauer gesagt. Auch, wenn die Elbe jetzt einen historischen Höchststand hatte in Magdeburg: Es hatte ja 2002 erst nicht besser ausgesehen. Ein Deichbruch bei Bitterfeld, erinnert sich Ursula Joop, habe damals die Landeshauptstadt gerettet. Es hätte schon damals schlimmer kommen können. „Aber Magdeburg hat das vergessen.“
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