Bochum. . 1991 wurde Fernando Bermudez von einem New Yorker Gericht wegen Mordes verurteilt. 2009 wurde er freigesprochen, der Richter entschuldigte sich für den Justizirrtum. Jetzt tourt der heute 43-Jährige mit seiner Geschichte durch Deutschland. An der Bochumer Ruhr-Universität hielt er am Freitag den Auftakt-Vortrag.
Als Fernando Bermudez ins Gefängnis ging, war er 22; und George Bush Präsident der USA. Wegen Mordes an einem Teenager verurteilte ihn ein New Yorker Richter zu „mindestens 23 Jahren“ Haft. Am 4. August 1991 habe er den 16-jährigen Raymond Blount vor einem Nachtclub in Greenwich Village erschossen, befanden die Geschworenen. Doch sie befanden falsch. Als das endgültig bewiesen war und Fernando Bermudez frei kam, war er 40; und im Weißen Haus saß Barack Obama.
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Mit seiner Geschichte tourt das Justizopfer jetzt durch Deutschland. Die Botschaft des bulligen Mannes in weißer Jeans und rosafarbenem Jackett, der viel lacht und so gar nicht verbittert scheint: „Was mir geschah, darf nicht noch einmal geschehen. Nirgendwo auf der Welt.“ Kriminologen der Ruhr-Universität Bochum, an der der Amerikaner am Freitag den Auftakt-Vortrag hielt, organisierten die Reise.
„Die Kugel, die Blount tötete, traf auch mich und meine Familie“
In der Nacht, als Raymond Blount starb, feierte Fernando Bermudez mit Freunden; überglücklich, dass er angenommen worden war auf dem College, für das er, der Sohn eines Parkhauswächters und einer Hausfrau, sich beworben hatte. Jahrelang hatte er dafür gebüffelt, das Geld für seine Ausbildung hatten die Eltern mühsam zusammengespart. „Das war die glücklichste Zeit meines Lebens, erinnert sich der heute 43-Jährige. „Ich freute mich so auf das, was die Zukunft bringen würde.“ Arzt wollte Bermudez werden. Doch daraus wurde ebenso wenig etwas wie aus all seinen anderen schönen Plänen. Der angehende Student landete als Mörder im Hochsicherheitstrakt von Rikers Island, später in „Sing Sing“. „Die Kugel, die Blount tötete, traf auch mich“, sagt er. „Dabei war ich nicht einmal in der Nähe des Tatorts.“
Seine Verurteilung beruhte auf einer ganzen Reihe von Irrtümern und Fehlern: Der Hauptbelastungszeuge, ein junger Mann, den Blount vor der Tat verprügelt hatte, log. Gegenüberstellungen und Befragungen wurden unkorrekt – etwa in Gruppen – durchgeführt. Bermudez’ Freunden, die bestätigten, dass er mit ihnen unterwegs gewesen sei, meilenweit vom Tatort entfernt, glaubte man nicht. Augenzeugen, die ihn auf einem Foto als Täter identifizierten, dagegen schon – obwohl sie ihre Aussage später zurückzogen. DNA-Spuren, die den Verdächtigen be- oder entlastet hätten, wurden nie gefunden.
Elf Anläufe brauchte es, bis er tatsächlich frei kam
„Das Schlimmste“, sagt Bermudez dennoch, „war nicht, dass ich verurteilt wurde.“ Es war auch nicht die Gewalt, die man ihm im Gefängnis antat, nicht die quälende Hoffnungslosigkeit, die eigene Depression oder die Selbstmorde der Zellengenossen; es war nicht einmal die Wut darüber, seine Kinder nicht aufwachsen sehen zu dürfen; mit seiner Frau Crystal kein normales Familienleben zu haben. „Das Schlimmste“, erklärt der Ex-Häftling, der im Knast Geschichts- und Spanischkurse für die Mitinsassen anbot und den sie dort „Professor“ nannten, „das Schlimmste war, dass Jahr für Jahr meine Anträge, das Verfahren neu aufzurollen, abgewiesen wurden.“ Elf Anläufe brauchte es schließlich, bis Bermudez im November 2009 offiziell freigesprochen wurde.
Als es passierte, als Fernando Bermudez vor vier Jahren tatsächlich aus der Haft entlassen wurde, entschuldigte sich der Richter förmlich für den Justizirrtum, wünschte „eine deutlich bessere Zukunft“ und drückte dem 40-Jährigen 40 Dollar in die Hand. Rund 30 Euro, abgezogen vom Gehaltskonto des Häftlings – das war alles, was der Mann, der wegen eines falschen Urteils 18 Jahre seines Lebens hinter Gittern verbringen musste, an Wiedereingliederungshilfe zu erwarten hatte.
30 Millionen Dollar Entschädigung? Die Chancen stehen nicht schlecht
Nun klagt Bermudez auf Entschädigung. 30 Millionen Dollar fordert der dreifache Vater von Stadt und Staat New York. „Wir brauchen das Geld“, sagt Bermudez’ Ehefrau Crystal, die ihn auf seiner Deutschlandreise begleitet („Ich trenne mich nie wieder von ihm...“). Für die Ausbildung der Kinder, für die Therapien ihres Mannes, der an den Folgen der langen Haft noch immer leidet. Noch ist nichts entschieden, doch seine Chancen stehen wohl nicht schlecht. Bermudez selbst ist „absolut sicher“, dass er auch diesen Kampf gewinnen wird, dass der Staat anerkennt, „dass da was falsch läuft im System“. Aber: „Gutmachen kann er mit Geld nicht, was er mir antat.“