Berlin. . Schauspielerin Andrea Sawatzki hat einen Roman über ein überfordertes Kind geschrieben. Es ist auch eine Erinnerung an ihre eigene Kindheit mit ihrem an Alzheimer erkrankten Vater. Ein Gespräch mit der ehemaligen Tatort-Kommissarin, die noch bis vor drei Jahren für die ARD ermittelte.
Eine Achtjährige, die ihren dementen Vater pflegt. Ein allzu braves Mädchen, dem die Eltern die Kindheit rauben: Schauspielerin Andrea Sawatzki hat einen Roman über ein überfordertes Kind geschrieben – und sich an ihre eigene Kindheit mit ihrem Alzheimer-kranken Vater erinnert.
„Ich weiß, wovon ich schreibe. Manche der Szenen habe ich genau so erlebt und heute noch vor Augen. Doch Manuelas Vater ist nicht mein Vater.“ Zum Treffen am Berliner Schlachtensee ist die 50-Jährige mit ihrem Hund Gustav gekommen. Eine Dogge, groß wie ein Kalb. Es ist Gustavs erstes Interview. Und auch für seine Begleiterin ist das alles neu: Die ehemalige „Tatort“-Kommissarin hat ihr erstes Buch geschrieben – ein Krimi aus dem Stoff ihrer eigenen Kindheit.
Sechs Jahre betreute Sawatzki als Kind ihren dementen Vater
Hund, Mund, Augen. Bei dieser Frau ist wirklich gar nichts klein. Die langen roten Haare, die großen eisblauen Augen. Auch Manuela, die Hauptfigur in „Ein allzu braves Mädchen“, ist so ein Typ. Schön, aber nicht lieblich, sondern geheimnisvoll. Als Kind muss Manuela nachts ihren dementen Vater betreuen, während die Mutter als Krankenschwester im Schichtdienst arbeitet. Die Tochter ist allein mit seiner Fremdheit, seinen Wutanfällen, seinem unkontrollierten Körper.
Die Tatort-Kommissare
Andrea Sawatzki hat ihren Vater sechs Jahre lang betreut, sie war 14, als er schließlich starb. „Wenn Kinder so etwas erleben“ sagt sie, „ist das Gefährliche die Überforderung. Kinder möchten ja immer alles richtig machen und gelobt werden. Und Manuela ist ein Mädchen, das immer versucht, alles richtig zu machen und zu gehorchen, um die Liebe ihrer Eltern zu bekommen.“ Hätte sie selbst sich als Kind dagegen wehren können? „Nein. Kinder in dem Alter können das noch nicht.“ Was aber hat sie dann, anders als Manuela im Buch, stabil gehalten? „Ich habe versucht, mir meinen Weg über die Schauspielerei zu bahnen. Durch diese Kindheit hatte ich immer Angst vor Bevormundung, vor Eingesperrtsein, vor Enge. Bei der Schauspielerei hatte ich zumindest die Illusion von Freiheit.“
Ihr Buch hat sie auch den beiden Söhnen gewidmet: „Wenn man Kinder hat, fragt man sich automatisch, wie die eigene Kindheit war. Und bei den eigenen Kindern hat man die Chance, das, was man selbst als Kind schlimm fand, besser zu machen.“ Bruno und Moritz sind zehn und 13 Jahre alt. Würde sie einem ihrer Kinder etwas Ähnliches zumuten? „Nein, die sind geschützt.“
Bis vor drei Jahren ermittelte sie im Frankfurter "Tatort"
Andrea Sawatzki war bis vor drei Jahren „Tatort“-Kommissarin in Frankfurt. Auch als Autorin denkt sie in krimitypischen Szenen, Blickwechseln, Dialogen: „Beim Schreiben hatte ich das Gefühl, einen Film zu sehen.“ Tatsächlich liest sich „Ein allzu braves Mädchen“ (Piper Verlag) wie eine Vorstufe zum Fernsehdrehbuch. Geholfen, sagt sie, habe ihr vor allem Stephen Kings Autobiographie und Schreib-Ratgeber „Das Leben und das Schreiben“. Lange ringt sie mit dem Stoff, erfindet und verwirft Liebesgeschichten und Nebenschauplätze. Am Ende konzentriert sich Sawatzki auf Manuelas Geschichte, die wie eine „Tatort“-Folge beginnt: Kinder finden im Wald eine verstörte Frau, ein alter Mann liegt brachial ermordet in seinem Schlafzimmer.
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Manuela, das erfährt der Leser in Rückblenden, arbeitet Jahre nach dem Martyrium mit dem kranken Vater als Prostituierte. Sawatzki kennt sich da aus. Mit 21 Jahren jobbt sie als Straßenverkäuferin. „Ich habe billige Kosmetik verkauft und hatte drei Kolleginnen, die als Prostituierte gearbeitet haben. Der Chef der Kosmetikfirma war gleichzeitig Zuhälter. Meine Kolleginnen haben ihren Job immer sehr verlockend dargestellt: ‘Kriegscht `nen Hunderter! Und du hasch’ dei’ Stammklientel.’“ Der Satz, den sie gar nicht mag, ist: „So etwas würde ich nie tun.“ Sie streicht Gustav über den Kopf. „Es kommt immer auf die Lebensumstände an.“
Andrea Sawatzki stammt aus der Bayrischen Provinz, aus einfachen Verhältnissen. Heute dagegen lebt sie mit Schauspielkollege Christian Berkel, den beiden Söhnen und Gustav im noblen Berliner Süden, entwirft ihre eigene Möbelkollektion und genießt den Luxus: „Ich dachte lange Zeit, ich müsse mich dafür entschuldigen, dass ich kein Aldikind mehr bin. Aber ich bin jetzt 50 geworden. Da kann ich auch mal stolz drauf sein, dass ich das alles allein geschafft habe, dass ich mich jetzt sogar ins Villenviertel hochgearbeitet habe.“