Essen. . Eine feste Zahnspange war vielen jungen Menschen viele Jahre lang ein Graus. Um so erstaunlicher, dass Zahnärzte davon berichten, die „Klammer“ sei heuer cool geworden. Und: Eine beträchtliche Zahl von Erwachsenen lassen sich für viel Geld das Gebiss korrigieren.
„Fest oder lose?“ So lautet die erste Frage, wenn Jugendliche in Schule oder Freundeskreis ankündigen, bald eine Zahnspange tragen zu müssen. Dieses „Ding“ im Mund war vielen jungen Menschen viele Jahre lang ein Graus, vor allem die feste Spange, vor allem in der Pubertät. Um so erstaunlicher, dass Zahnärzte davon berichten, die „Klammer“ sei heuer cool geworden. Und: Eine beträchtliche Zahl von Erwachsenen lassen sich für viel Geld das Gebiss korrigieren.
Die Gründe
Die Universität München hat nachgefragt: Mehr als die Hälfte der Patienten über 18 Jahre lässt die Zahnstellung beim Kieferorthopäden aus ästhetischen Gründen korrigieren. Etwa jeder Vierte gab an, durch Zahnfehlstellungen Probleme beim Kauen oder auch Schmerzen in Kopf und Kiefer zu haben. Die übrigen Patienten wollten einzelne Zähne aufrichten lassen, weil sie diese brauchen, um beispielsweise notwendigen Zahnersatz besser anpassen zu können.
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Kieferorthopädin Guni Mindermann, Vorsitzende des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopäden (BDK), sagt es so: „Die Altersgruppe zwischen 35 und 45 ist sehr gesundheitsbewusst und fragt vermehrt nach kieferorthopädischen Behandlungsmöglichkeiten. Selbstverständlich soll dann auch das Lächeln schöner werden.“
Die Voraussetzungen
Auch bei Erwachsenen können sich Zähne noch drehen, verschieben, wandern. So können Lücken oder Engstände entstehen. Laut BDK gibt es für eine Zahnkorrektur keine Altersgrenze, Voraussetzung für eine Behandlung ist dem Verband zufolge ein gut gepflegtes Gebiss. Unbestritten aber scheint, aller Werbeaussagen zum Trotz: Bei Erwachsenen ist die Korrektur einer Zahnfehlstellung aufwändiger und wegen unterschiedlicher knöcherner Reaktionen auch schwieriger als bei Jugendlichen.
Plättchen oder Schienen
Beim Standardverfahren wird auf jeden Zahn ein Plättchen, ein sogenanntes Bracket geklebt, durch das ein Draht gespannt und meist mit Gummiringen befestigt wird. Der Kieferorthopäde kann so die Zähne gezielt in einer andere Stellung bewegen. Zum Teil geschieht dies mit computergestützter Planung. Der Draht wird regelmäßig nachgestellt.
Brackets gibt es aus Metall, Kunststoff und Keramik. Metallplättchen sind am kostengünstigsten, aber auch deutlich sichtbarer als Keramik und Kunststoff. Aber: Keramik ist schwerer zu entfernen, und Kunststoff verfärbt sich. Und auch die Kosten variieren. Die Behandlung mit Metallbrackets kostet im Schnitt 4000 bis 5000 Euro, mit Kunststoff beziehungsweise Keramik etwa 6000 Euro.
Bei der Lingualtechnik werden die Brackets auf der nicht sichtbaren Innenseite der Zähe angebracht. Weil die Zunge daran stößt, ist die Lingual-Methode anfangs deutlich spürbarer. In den ersten sechs bis zwölf Wochen fällt auch das Sprechen mit Lingualbrackets etwas schwer. Die Behandlung dauert länger als beim Standardverfahren und die Kosten sind höher(etwa 8000 Euro).
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Ebenfalls möglich: eine Korrektur mittels durchsichtiger Kunststoffschienen. Diese können bei Bedarf herausgenommen werden, sollten aber täglich mindestens 22 Stunden getragen werden. Bei dem Verfahren, das viel Disziplin verlangt, wird zunächst ein Abdruck des Kiefers gemacht, am Computer eingescannt und die Zahnkorrektur in mehreren Schritten dreidimensional dargestellt. Anschließend wird eine Serie von Schienen gefertigt, die zu tragen sind, bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist. Je nach Art der Korrektur sind entsprechend viele Schienen notwendig. Kosten: 5000 bis 7000 Euro.
Die Kostenübernahme
Erwachsene müssen seit 1993 in der Regel die Behandlungskosten allein tragen. Einzige Ausnahme: Patienten, die eine kieferorthopädisch-chirurgische Behandlung zum Ausgleich einer extremen Kieferfehlstellung brauchen. Je nach Versicherungsvertrag oder -tarif gehört eine Behandlung im Einzelfall zum Leistungsumfang einer privaten Versicherung. Vor der kieferorthopädischen Behandlung sollten Versicherte also immer klären, ob und in welcher Höhe sich die Versicherungen beteiligen.
Pro und Contra
Das Aufrichten gekippter Zähne verringere laut Gundi Mindermann das Entstehen riskanter Zahnfleischtaschen. Und: „Wenn Zähne, die nur noch wenig im Knochen stehen, in diesen wieder hineinbewegt werden, bieten sie besseren Halt für eine lange Kaubelastung. Gregor Bornes von der Kompetenzstelle Zahngesundheit bei der Unabhängigen Patientenberatung in Köln hingegen sagt: „Es gibt keine Expertise dazu, dass Zähne länger überleben, weil man sie an eine andere Stelle schiebt.“ Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information stellt in der 2010 vorgelegten Studie über Kieferorthopädische Behandlungen fest: „Es ist keine Studie verfügbar, die einerseits die langfristige Wirkung der kieferorthopädischen Intervention untersucht, noch eine, die die Auswirkungen auf die Mundgesundheit zum Thema hat.“
Mögliche Nebenwirkungen
„Die Mundhygiene ist erschwert, wenn ich eine festsitzende Apparatur im Mund habe“, sagt Gregor Bornes. Das könne zu Karies führen. Durch das Aufkleben der Brackets (siehe Zweittext) könnten zudem die Zahnoberflächen geschädigt werden. Viel schwerer aber wiege die Gefahr ausfallender Zähne – Stichwort Wurzelresorption. Die Bewegung der Zähne entsteht Bornes zufolge durch eine bewusst hervorgerufene Knochenentzündung. Hier werde Knochen aufgebaut, dort aufgelöst. „Der Verlust von Zähnen ist ein Risiko kieferorthopädischer Behandlungen“, so Bornes. Und das steige mit dem Alter. Darüber hinaus führe das Tragen einer Spange zu einer Veränderung des Bisses. Das könne Fehlfunktionen des Kiefergelenks beheben, aber auch auslösen. Bornes fordert verstärkte Risikoaufklärung in dem umsatzstarken Geschäft mit kieferorthopädischen Behandlungen. Patienten sollten sich umfassend informieren und sich ihre individuellen Risiken vom Arzt auch schriftlich bestätigen lassen. (mit dapd)