Essen/Berlin. . Bande schleuste mindestens 270 Flüchtlinge vor allem aus Syrien nach Europa. Deutschland-Chef soll ein 58-jähriger Essener gewesen sein
Großeinsatz gegen skrupellose Schleuser: In NRW und fünf weiteren Bundesländern durchsuchten 500 Polizisten am Dienstag 37 Wohnungen und nahmen sechs Männer fest; zeitgleich klickten Handschellen auch in Frankreich, der Türkei und in Griechenland. Ein 58-Jähriger, der in seinem Wohnhaus in Essen verhaftet wurde, soll der Deutschland-Chef einer international agierenden Bande sein. Die Kriminellen sollen mindestens 270 Flüchtlinge, vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien, nach Deutschland und Frankreich geschleust haben. Rund 500 Beamte waren bei der Razzia im Einsatz.
„Die Täter haben Menschen als Ware angesehen. Es ging darum, den Profit immer weiter zu maximieren“, sagt Meik Gauer von der Bundespolizei in Berlin im Gespräch mit der NRZ. Die Schleusungen seien unter „inhumanen, teils lebensbedrohlichen Bedingungen erfolgt“. Am 6. September vergangenen Jahres war ein völlig überladenes Flüchtlingsboot vor der türkischen Küste gekentert. 63 Männer, Frauen und Kinder ertranken. Die Ermittler haben Hinweise, dass darunter Personen waren, die sich der nun weitgehend zerschlagenen Schleuserbande anvertraut hatten. Polizei und Staatsanwaltschaft waren zum Zeitpunkt des Unglücks bereits auf der Spur der Bande, bekamen aber noch nicht alle Puzzleteile zusammen.
Bei Minustemperaturen auf Lkw-Ladefläche
Eine vereitelte Schleusung an der Grenze von Brandenburg zu Polen hatte die Ermittlungen ausgelöst. Bundespolizisten hatten im Spätherbst 2011 nahe des Städtchens Forst einen Laster gestoppt und auf dessen Ladefläche 14 Syrer entdeckt. Die Männer hatten bei Minustemperaturen unter einer Plane ausgeharrt. „Auf der Ladefläche stand Wasser in kleinen, gefrorenen Pfützen“, erzählt Gauer.
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Per Lastwagen, Pkw, Schiff oder Flugzeug: Die Schleusungen erfolgten auf wechselnden Routen – häufig über die Türkei, Griechenland, Bulgarien und Rumänien. Bei Zwischenstopps mussten die Geschleusten laut Zeugenaussagen teilweise wochen- oder monatelang warten. Zwischen 4500 und 17 000 Euro kassierten die Kriminellen für die Reisen. Der Höchstpreis wurde für die „Luxusschleusung“ per Flieger und mit gefälschten Ausweispapieren fällig.
„Die Finanzierung erfolgte nach dem ‘Hawala-Banking-System’“, berichtet Bundespolizist Gauer. ‘Hawala’ kommt aus dem Arabischen und heißt Vertrauen. In Deutschland lebende Verwandte sollen für die Reisen eingezahlt haben, zudem sollen auch Grundstücke in der syrischen Heimat verpfändet worden sein. Die Fäden liefen den Ermittlungen zufolge bei dem 58-jährigen Syrer in Essen zusammen. Wenn genug Geld beisammen war, gab er „grünes Licht für die Reise“, sagt Gauer.
Weitere Hintermänner im Ausland
Einfamilienhaus, verheiratet, zwei Kinder, eine gute Anstellung als Ingenieur: In Essen lebte der 58-Jährige den Ermittlern zufolge hinter einer gutbürgerlichen Fassade. Weitere Festnahmen gab es in Nordrhein-Westfalen in Lennestadt, Ahlen und Bad Salzuflen. Die Beschuldigten sind syrische, deutsche oder irakische Staatsbürger. Die Ermittler vermuten weitere Hintermänner auf freiem Fuß in der Türkei und Griechenland.
„Wir sind aber sicher, dass wir mit den jetzt festgenommenen Personen zentrale Akteure aufgegriffen haben“, zeigte sich Gauer überzeugt. Logistiker, Fahrer und Vermittler sollen unter den Festgenommenen sein. Neben Ausweispapieren, Datenträgern, Notizen, kleineren Mengen von Drogen, stellten die Beamten auch 145 000 Euro sicher.