Karachi. . Vier Monate nach dem Inferno in einer Textilfabrik in Pakistan sind die Opfer und ihre Angehörigen noch immer nicht entschädigt worden. Textildiscounter Kik äußert sich zurückhaltend. Angeblich steht eine Million Dollar bereit. Bei einem erneuten Feuer sterben sieben Menschen.

Sharjeel Ahmad starb, weil er leben wollte. Der 24-Jährige kündigte seinen alten Job in der pakistanischen Metropole Karachi, aus Furcht vor Terroranschlägen auf dem Weg zur Arbeit. Der Mann aus dem Elendsviertel Balia Town heuerte lieber in der Textilfabrik Ali Enterprises an, die nur ein paar hundert Meter entfernt liegt. Keine drei Monate nach seinem ersten Arbeitstag verbrannte Sharjeel Ahmad am 11. September 2012 zusammen mit etwa 300 Menschen in der Fabrik, die Kleider für den deutschen Billiganbieter Kik herstellte.

Vier Monate später hält Sharjeels Bruder Khurram eine Liste mit den Namen der Todesopfer in der Hand. Der Name seines Bruders fehlt. „Ich weiß nicht, ob die Leiche meines Bruders sich unter den bisher nicht identifizierten 23 Toten befindet“, sagt er. Vorläufig besitzt Khurram nur eine Essenskarte als Beweis, dass sein Bruder in der Fabrik gearbeitet hat. „Wahrscheinlich wird es von Kik abhängen, ob er je Entschädigung erhält“, sagt Karamat Ali. Da es keine Arbeitsverträge gegeben habe, falle manchmal sogar der Beweis schwer, dass die Toten oder Vermissten überhaupt in der Fabrik angestellt waren.

Der Vorsitzende der im Gewerkschaftsumfeld tätigen Organisation „Piler“ handelte mittlerweile ein „Memorandum“ mit Kik aus, laut dem der Discounter möglichst bald betroffenen Familien eine erste Entschädigungssumme in Höhe von einer Million US-Dollar zur Verfügung stellen will. Pro Familie entspricht dies etwa 1500 Euro.

Behördenwillkür und bürokratischen Hindernissen

Noch ist nicht klar, wann die Summe bereitstehen wird. Damit fügt sich Kiks Zeichen des guten Willens nahtlos in die Serie von Behördenwillkür und bürokratischen Hindernissen ein, die viele Hinterbliebene bewältigen müssen. Nicht einmal das Strafverfahren wegen Mordes gegen die Besitzerfamilie von Ali Enterprises kommt voran.

Arshad Bhaila und Shahid Bhaila, die Söhne des Firmenpatriarchen Abdul Aziz Bhaila, sitzen zwar in Untersuchungshaft. Aber Faisal Siddiqui, der Rechtsanwalt mehrerer Nicht-Regierungsorganisationen, die den Prozess vorantreiben wollen, ist alles andere als optimistisch: „Die Eigentümer setzen Mafia-Methoden ein, um einer Verurteilung zu entkommen.“ Selbst bei ihm klingelte vor ein paar Wochen das Mobiltelefon. Eine anonyme Stimme warnte: „Lass die Hände von dem Fall, sonst wird es Konsequenzen geben.“

Ausgang war abgesperrt

Siddiqui sagt trotzdem: „Es war weltweit das schlimmste Feuer in einer Textilfabrik seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts.“ Und er ergänzt: „Die Fakten sind klar: Es hat so viele Tote gegeben, weil der Ausgang abgesperrt war.“

Pakistans Textilindustrie ist eine der wenigen Stützen der krisengeplagten Wirtschaft am Indus. Noch arbeiten in Karachi, konservativ geschätzt, 300 000 Menschen in 500 Fabriken. Keine einzige, sagt Karamat Ali, sei offiziell registriert.

Im Nachbarland Bangladesch sieht es ähnlich aus. Mit rund 4500 Textilfabriken ist das Land der zweitgrößte Bekleidungshersteller der Welt. Viele Werkstätten sind in heruntergekommenen Gebäuden mit mangelhaften Stromleitungen untergebracht. Immer wieder bricht Feuer aus, seit 2006 starben bei Bränden in Bangladeschs Textilfabriken etwa 700 Menschen. Erst am vergangenen Sonntag sind bei einem Feuer in einer Textilfabrik sieben Arbeiterinnen ums Leben gekommen. 15 weitere Arbeiterinnen wurden nach Behördenangaben verletzt. In dem Gebäude wurden offenbar Etiketten von Kik gefunden, was der Discounter allerdings dementiert.

Bei zwei DNA-Tests geschlampt

Im benachbarten Pakistan warten 52 Familien von Todesopfern auch vier Monate nach dem Feuer auf eine Entschädigung. Die 25-jährige Nazir Perveen etwa weiß immer noch nicht, ob ihr Ehemann Riaz Ahmad unter den nicht identifizierten Toten ist – oder ob die Leiche bei dem Feuer pulverisiert wurde. Drei DNA-Proben hat sie abgegeben. Pakistans Behörden verschlampten die ersten beiden Tests. „Seit dem Feuer haben wir kein Einkommen“, sagt ihre Schwester Shazin, denn auch ihr Bruder Rafquat sei bei dem Brand umgekommen. Jetzt lebt die zwölfköpfige Familie von der Hand in den Mund. Dabei wurde Rafquats Leiche identifiziert und begraben. Eine Entschädigung gab es dennoch nicht. Begründung: Erst müssten alle Fälle geklärt sein.