Dortmund.. Bönener Unternehmen versprach Zahlungen an die Opfer. Doch diese sind bislang nicht geflossen. Die Gewerkschaften in Pakistan machen mobil.
700 000 Pakistanische Rupien erhielt bisher jede Familie, die vor einem Monat einen Angehörigen bei dem verheerenden Brand in der Textilfabrik in Karachi verloren hat. Das sind etwa 5580 Euro. Ausgezahlt wurde das Geld von der Regierung Pakistans. Keine einzige Rupie erhielten die Familien der 259 Todesopfer dagegen von dem Unternehmen, für das ihre Angehörigen Jeans nähten, als sie den Tod fanden: dem Textildiscounter Kik aus Bönen.
Dabei hatte das Unternehmen kurz nach dem Unglück angekündigt, einen Hilfsfonds aufbauen zu wollen, „um in dieser Situation den Verletzten und Angehörigen der Opfer schnellstmögliche Hilfe zukommen zu lassen.“ Kik-Geschäftsführer Dr. Michael Arretz spricht in einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme des Unternehmens erneut von einer „zeitnahen Verteilung“. Konkrete Termine? Fehlanzeige. Konkrete Summen? Mitnichten. Weiterhin sei das Unternehmen mit staatlichen Stellen in Kontakt, weiterhin sei die Lage unklar, erklärte der Discounter gestern gegenüber der WR.
Suche nach Partnern als Ursache
Dabei hatten einige Organisationen vor Ort sofort nach dem Brand in sehr deutlichen Worten die Arbeitsbedingungen innerhalb der Fabrik kritisiert – und für die hohe Anzahl der Opfer mitverantwortlich gemacht. Es habe keine Notausgänge gegeben, alle Ausgänge außer dem Haupteingang seien verriegelt gewesen. Die Fenster seien vergittert gewesen und die Treppen mit fertiger Ware zugestellt worden.
Kik-Geschäftsführer Arretz bezieht zu all diesen Vorwürfen nach wie vor keine Stellung. Die bislang ausbleibende finanzielle Hilfe begründet er allein mit der „Suche nach Partnern vor Ort“, die „eine transparente Verteilung der Mittel vornehmen können“. Die Hilfsorganisation Medico International vermutet dagegen ganz andere Gründe für den bisher ausbleibenden Geldfluss: „Wir bezweifeln nicht, dass Kik daran arbeitet, finanzielle Hilfe zu leisten. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass das Unternehmen gar nicht so genau weiß, an wen sie diese zahlen soll“, glaubt Dr. Thomas Seibert von Medico.
In den Billigfabriken des Landes sei es nämlich nicht üblich, Angestellten Arbeitsverträge auszuhändigen. „Es werden oft nur mündliche Absprachen getroffen, damit die Arbeiter keine Rentenansprüche geltend machen können, damit sie sich nicht beschweren, damit man sie bei Krankheit nicht bezahlen muss. Sie haben keine Rechte.“
Ein Vorwurf, den Kik kommentarlos stehen lässt.
Gewerkschaft verteilt Fragebögen
Der Brand in der Textilfabrik von Ali Enterprises, in dem das Bönener Unternehmen Jeans der Marke „Okay“ fertigen ließ, er könnte auch in Zukunft für Unruhe bei dem Discounter sorgen. Die pakistanische Gewerkschaft „National Trade Unions Federation“ hat Fragebögen entwickelt, die ehemaligen Mitarbeitern der Fabrik vorgelegt werden sollen und anhand derer die Arbeitsbedingungen, die Arbeitsabläufe und das Arbeitsumfeld transparent gemacht werden sollen. Für die Befragung ist eigens ein Team aus Aktivisten gebildet worden.
Parallel zu der Befragung befasst sich mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) eine Menschenrechtsorganisation aus Berlin bereits mit der Überlegung, den Textildiscounter in Deutschland vor Gericht zu bringen. „Wir stehen noch ganz am Anfang. Es geht darum, Beweise zu sammeln, um die Verantwortlichkeit von Kik nachweisen zu können. Wir prüfen, ob wir das juristisch dingfest machen können“, bestätigte die Organisation gestern gegenüber der WR.
Ähnliches Verfahren gegen Lidl
Das ECCHR hat Übung darin, unzulässige Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben deutscher Unternehmen vor Gericht zu bringen. Im Jahre 2010 initiierte das ECCHR vor dem Landgericht Heilbronn eine Klage gegen Lidl. Dem Discounter wurde vorgeworfen, in irreführender Weise mit der Einhaltung von Sozial- und Arbeitsstandards in Zulieferbetrieben in Bangladesch zu werben. Nur zehn Tage nach Klageeinreichung lenkte Lidl ein und gab die juristisch bindende Erklärung ab, die beanstandeten Werbeversprechen bezüglich weltweit fairer Arbeitsbedingungen künftig zu unterlassen. Ein Urteil wurde nie gesprochen.
Geht es nach der Berliner Menschenrechtsorganisation wäre das im Falle Kik anders.