Essen. Hausaufgaben nicht gemacht, aber stundenlang gechattet: Jugendliche sind stärker von Online-Sucht betroffen als Erwachsene. Mädchen sind doppelt so gefährdet wie Jungs. Viele Eltern suchen Orientierungshilfen, doch eine Checkliste gibt es nicht, wohl aber ein paar Verhaltensregeln.

Lisa sitzt gelangweilt im Klassenzimmer. Die Hausaufgaben hat die 14-Jährige nicht gemacht. Keine Zeit gehabt. Ansonsten ist sie auf dem Laufenden: Lisa weiß, was in ihrem eigenen Mikrokosmos so passiert, es steht online. Mit dem Smartphone ist sie immer im Netz und auch ihr Laptop läuft durch. Einsam ist die Schülerin nicht, zumindest nichts ganz. Viele ihrer Facebook-Freunde trifft sie in der Schule wieder, live. Und doch sehnt sich Lisa im Deutschunterricht tagträumend nach einer anderen Welt. Ihr virtuelles Leben in Chatrooms, Facebook und Co. scheint so verlockend, es macht süchtig.

Jungs ballern, Mädchen chatten

Fakt ist: Jungs spielen zwar ausdauernd Computerspiele, aber gleichaltrige Mädchen im Alter von 14 bis 16 Jahren zeigen dennoch ein doppelt so hohes Internet-Suchtpotenzial. Für die Gesamtbevölkerung liegt der Wert bei 1,5 Prozent – schätzungsweise 560 000 Deutsche sind demnach internetsüchtig. Bei jungen Mädchen liegt die Wahrscheinlichkeit, Suchtverhalten zu zeigen, jedoch bei 8,6 Prozent – im Vergleich zu Jungen mit 4,1 Prozent.

Dies geht aus der Studie zur „Prävalenz der Internetabhängigkeit“ (Pinta) hervor, welche die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), bereits 2011 vorstellte. Im Vergleich zu taiwanesischen Verhältnissen – mit über 17 Prozent Internetsüchtigen – ist diese Suchtgefahr in Deutschland noch gering. Dennoch haben vor allem Eltern viele Fragen: Wie soll man schützen, in einer völlig anderen Welt? Soll man den Zugang zu Facebook komplett verbieten, wie man es vielleicht mit Drogen tut. Oder doch eher „nur“ eine tägliche Stundenzahl vereinbaren und Vertrauen schenken?

Jungs flüchten in Strategie- und Ballerspiele

Während Eltern die Flucht ihrer Jungs in Strategie-, Baller- oder Online-Rollenspiele noch mitkriegen und sanktionieren, wird das Abtauchen der Töchter in soziale Netzwelten oft übersehen. Dabei sind Mädchen viel hartnäckiger. Sie sind laut Pinta-Studie „noch häufiger abhängig von der Omnipräsenz ihrer sozialen Netzwerke“ – soll heißen: Eine Pause fällt ihnen viel schwerer. Die Internetnutzung wird zum bestimmenden Ritual, zum eigentlichen Freizeitziel.

Wer seine Lebenszeit im Internet totschlägt, ist aber noch lange nicht onlinesüchtig. Dafür muss das Chatten oder Gaming derart exzessiv betrieben werden, dass der Alltag „völlig vernachlässigt“ wird. Man verliert die Kontrolle über sein Leben: Keine Zeit zum Essen oder Kochen, weil man lieber am Computer sitzt. Hausaufgaben werden nie gemacht. Die Fehlzeiten an der Schule, im Kolleg oder an der Uni häufen sich. Ausflüge mit Freunden fallen flach. Vor allem geht die Kontrolle über die eigene Internetnutzung verloren, selbst wenn man weiß, dass man sich selber schadet.

Was Eltern tun können

  • Ein einfaches Handlungskonzept für Eltern und andere Anhörige wäre, die Internetzeit einzuschränken. Doch bisher konnte nicht belegt werden, dass die Nutzungszeit etwas über die Sucht aussagt.
  • Wie bei anderen Süchten ist es entscheidender, das Verhalten des Betroffenen im Blick zu behalten. Zieht sich der Jugendliche zurück, isoliert sich von langjährigen Freunden und ersetzt diese Zeit mit dem Online-Gehen, muss man das Gespräch suchen.
  • Wer den Rat von Experten nutzen möchte, findet eine Liste der spezialisierten Einrichtungen auf der Internetseite des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) unter www.computersuchthilfe.info. Aber auch andere örtliche Suchtberatungsstelle helfen weiter und können über psychologische Therapiemöglichkeiten aufklären.
  • Wer eine Internetsucht vermutet, sollte auf jeden Fall den Gang zum Experten wagen. Nur er kann klären, ob weniger Internetstunden oder auch ein Spielstopp bei einem speziellen Online-Spiel nötig sind.
  • Auf der Internetseite des DZSKJ findet man auch erste Selbstkontrollmittel: Einen Online-Wecker der angibt, wie lange man im Internet unterwegs war. Oder die Vorlage für ein Online-Tagebuch, in welches man seine Internetzeiten und die besuchten Seiten einträgt.

Weder Wecker noch Tagebuch – oder einer der vielen Selbsttests, die man im Netz findet – helfen aus einer Sucht heraus, sagt Diplompsychologe Jürgen Kluwig, Leiter der „Ambulanz für Menschen mit problematischem Internetgebrauch/Internetsüchtige“ am LVR-Klinikum Essen deutlich. Es gehe eher darum, mit einer Therapie „sein eigenes Leben zurückzuerobern.“