Voerde/Düsseldorf. Ein bissiger Beschwerdebrief auf dem Facebook-Profil der Bahn sorgte jüngst für Aufsehen. Rund 100.000 Nutzer drückten den Gefällt-mir-Button. Unser Autor traf die Verfasserin Jana, um über ihre Kritikpunkte zu sprechen – und fuhr mit ihr Bahn.
Der Bahnsteig füllt sich. Es ist Nachmittag, halb fünf, am Düsseldorfer Hauptbahnhof beginnt die Rushhour. Hunderte Pendler, Touristen und Studenten strömen zum Gleis 18, drängen sich dicht an dicht die Treppen hinauf. Jana W. kennt diesen Rummel, sie erlebt ihn täglich. Seit eineinhalb Jahren pendelt sie mit der Bahn zwischen Voerde und Düsseldorf, zur Uni und wieder zurück. „In Duisburg müssen wir umsteigen“, sagt Jana, es gibt aber auch eine Direktverbindung. Bis die Bahn kommt, dauert es noch.
Derweil plaudert Jana über ihr Studium. Medienkommunikation an einer Privat-Uni. Dann rauscht er ein, der Zug. Er ist pünktlich. Die Menge schiebt sich in die Abteile. Einen Sitzplatz erwischt Jana nicht, doch das ist nicht das Drama. Auch das kennt sie, sie ist leidgeprüft. Aus ihrer Sicht laufen bei der Bahn ganz andere Dinge schief. Wichtigere.
„Laub im Herbst, der Wahnsinn“
Was Jana stört, tat sie der Bahn ziemlich deutlich am 17. Oktober auf deren Facebook-Seite kund. "Sehr geehrte Deutsche Bahn, moment was? Geehrt - im Leben nicht!" So leitete Jana ihre bissige Beschwerde ein, die ihr eine Menge Aufmerksamkeit bescheren sollte. Mit flapsiger Feder und einer gehörigen Portion Sarkasmus beklagte sie sich über wenig hilfsbereite Mitarbeiter, unsaubere Züge und ständige Verspätungen. Besonders über jene, deren Ursache sie nicht nachvollziehen konnte. Zum Beispiel Laub auf den Gleisen. „Laub im Herbst, der Wahnsinn“, spöttelte sie. Kurzum: „Kein guter Service“, der die rund 75 Euro im Monat für ihr Young Ticket Plus nicht rechtfertige.
Dieser Bahn-Rundumschlag traf offenkundig den Nerv der Netzgemeinde. Binnen weniger Tage erhielt Janas Brief mehrere tausend Gefällt-mir-Klicks, rund 8500 Kommentare befassten sich mit ihrer Kritik. Darunter eine Menge Zustimmung, vielen Pendlern sprach sie offenbar aus der frustrierten Bahnkunden-Seele. Andere User hingegen bescheinigten ihr, sie sei „like-geil“, nur an Aufmerksamkeit und sozialer Anerkennung interessiert.
Doch das ficht sie nicht an, Beleidigungen und Anzüglichkeiten lassen sie unbeeindruckt. „Das Niveau konnte ich teilweise nicht ernst nehmen“, sagt sie und schmunzelt. Auch um die Likes sei es ihr nicht gegangen. Vielmehr erstaunt sie noch heute die enorme Resonanz auf ihren Eintrag. „Damit hatte ich nicht gerechnet“, sagt sie und es klingt glaubwürdig.
Die Bahn erklärt das Massenphänomen
Doch nicht nur die Facebook-Gemeinde stieg auf den Post ein, auch die Bahn reagierte und hinterließ einen Kommentar. Ein Mitarbeiter entschuldigte sich darin für entstandene Unannehmlichkeiten mit einem unfreundlichen Bahnbediensteten und erklärte, wie Verspätungen durch Laub zustande kommen. „Im Herbst kann es mitunter passieren, dass sich das Laub auf den Schienen ablegt und dieser durch Nässe kleben bleibt.“ Außerdem bot man an, einen Kontakt zum regionalen Ansprechpartner in NRW herzustellen.
Auf Anfrage der WAZ Mediengruppe stellte die Bahn auch ihre Sichtweise dar, wie die Masse der Gefällt-mir-Klicks zustande kam. „Die Entwicklung der Kommentare und insbesondere der Likes ist ein Massenphänomen und erklärt sich durch "ich like, zwanzig Freunde sehen es, liken ebenfalls und zwanzig deren Freunde liken auch" - ein Schneeballsystem mit der entsprechend großen Potenzierung.“ Dieses lasse sich auch dadurch erklären, dass zu jenem Zeitpunkt Schulferien in NRW waren.
Zu wenig strukturiert
Jana kennt diese Aussage. Mittlerweile sitzt sie in der Regionalbahn 10348 nach Voerde und schüttelt den Kopf. Sie hat nicht den Eindruck, dass lediglich ein paar Jugendliche auf einer großen Internet-Massenwelle mitgesurft sind. Vielmehr glaubt sie, das allgemeine Bahn-Bashing sei der ihrer Meinung nach zu geringen Kundenorientierung der Bahn geschuldet. „Was mich am meisten stört, ist der Service, besonders die Unfreundlichkeit mancher Mitarbeiter." Des öfteren sei sie bei Fragen und Problemen von Bahnbediensteten lapidar abgekanzelt worden.
Die Bahn würde Probleme in ihrer Dienstleistung zu wenig strukturiert angehen, erklärt sie. Kein Unternehmen sei perfekt, das erwarte sie auch nicht. Probleme aber sollten zeitnah behoben werden, dies vermisse sie bei der Bahn. Dann steigt sie aus. Nicht in Voerde, sondern in Dinslaken. Dort herrscht gähnende Leere auf dem Bahnhof. Es ist kalt, dunkel, ungefähr halb sechs. Fahles Licht auf dem Bahnsteig.
Jana zeigt auf die Treppen, die hinab führen in den Bahnhofsgang. Immer noch nicht barrierefrei. Rollstuhlfahrer sind nach wie vor auf fremde Hilfe angewiesen, um das Gleis zu erreichen, obwohl der Ausbau längst beschlossen sei. „Siehst du“, sagt sie, „das meine ich.“