Berlin. . Niedrige Rückkaufwerte für gekündigte Lebensversicherungen waren für Anbieter über Jahre ein gutes Geschäft. In mehreren Urteilen stärkte der Bundesgerichtshof die Rechte der Verbraucher. Stiftung Warentest empfiehlt betroffenen Kunden dringend, bei ihrem Versicherer Geld nachzufordern.

Der Schock saß tief: Als Kathrin B. frühzeitig ihre Lebensversicherung kündigen musste, weil sie nach dem Verlust ihrer Arbeit dringend Geld benötigte, bekam sie weniger als 4000 Euro von ihrer Versicherung ausbezahlt. Beiträge eingezahlt hatte sie sieben Jahre lang, insgesamt mehr als 15.000 Euro. Weniger als ein Drittel von ihren Ersparnissen waren also noch übrig, nachdem sich die Versicherungsgesellschaft in den ersten Jahren nach Vertragsabschluss großzügig bedient hatte: Für Vertreterprovisionen, Courtagen und andere „Abschlusskosten“, deren prompte Abrechnung in der Branche unter dem Fachbegriff „Zillmern“ bekannt ist.

Frau B. ist kein Einzelfall. So wie sie wurden über Jahre Millionen Versicherungskunden behandelt. Der Chef des Bundes der Versicherten (BdV), Axel Kleinlein, hat ausgerechnet, dass drei von vier Altersvorsorgeverträge vor der Zeit gekündigt werden. Wegen einer Trennung, Arbeitslosigkeit oder aus anderen Gründen. Nur einer von vier Versicherten hält demnach bis zum Ende der Vertragslaufzeit durch. Der Fall von B. ist exemplarisch: Nach einer Studie des Bamberger Forschers Andreas Oehler bekommen Kunden im Schnitt nur 27 Prozent ihrer Beiträge zurück, wenn sie aus ihrem Vertrag raus müssen.

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Für die Assekuranzen ist das ein gutes Geschäft. Mit rund zwölf Milliarden Euro beziffert die Verbraucherzentrale Hamburg den Betrag, den deutsche Versicherer ihren Kun­den in den letzten Jahren durch das Zillmern zu viel abgeknöpft hätten. Konkret geht es dabei um kapitalbildende Lebens- und Rentenversicherungen. Die geringen „Rückkaufswerte“ der Policen beschäftigen seit Jahren den Bundesgerichtshof (BGH). In mehreren Urteilen – zuletzt am 17. Oktober (Az. IV ZR 202/10) und Ende Juli (Az. IV ZR 201/10) – stärkte der BGH die Rechte der Verbraucher. Nach Einschätzung der Richter werden Kunden durch das Zillmern unangemessen benachteiligt. Der BGH hat jüngst klargestellt, dass sich Versicherungen auch beim Abschluss neuer Verträge nicht auf unwirksame Klauseln berufen dürfen.

Der Entscheidung wird Signalwirkung zugebilligt

Großen Einfluss haben die BGH-Urteile in jedem Fall auf Verbraucher. Theodor Pischke von der Stiftung Warentest empfiehlt betroffenen Kunden dringend, sich mit ih­rem Versicherer in Verbindung zu setzen und Geld nachzufordern. Denn: Wer sich nicht wehrt, bekommt keinen Cent. Zwar ging es bei den beiden letzten BGH-Urteilen nur um Kunden der Gesellschaft Deutscher Ring und Generali. Den Entscheidungen aber wird Signalwirkung zugebilligt. Derzeit laufen noch weitere Gerichtsverfahren, die einen ähnlichen Ausgang nehmen könnten. Denn die Richter der unteren Instanzen müssen das BGH-Urteil berücksichtigen, so dass sich auch Versicherte anderer Gesellschaften berechtigte Hoffnungen auf Nachzahlungen machen können. „Geschädigte Kunden sollten sich in jedem Fall an ihre Versicherung wenden“, empfiehlt BdV-Chef Kleinlein im Gespräch mit dieser Zeitung.

Warentest-Fachmann Pischke rät jedem Kunden, der zwischen 2001 und Ende 2007 einen Vertrag unterschrieben und diesen gekündigt hat, schon jetzt vorsorglich seinen Versicherer anzuschreiben. Grobe Richtschnur: Wer weniger als die Hälfte seiner eingezahlten Beiträge zurückbekommen hat, sollte sich wehren. Es winken hohe Nachzahlungen, im Schnitt rund 500 Euro. „Holen Sie sich Nachschlag“, empfiehlt die Verbraucherzentrale Hamburg, die mehrere Klagen gegen verschiedene Versicherer angestrengt hat.

Musterbriefe für den Widerspruch stehen im Internet bereit

Der Widerspruch ist einfach. Musterbriefe stellen die Hamburger im Netz bereit (www.vzhh.de), diese sind in fünf Minuten ausgefüllt. Je früher das Schreiben rausgeht, desto besser: Denn die Ansprüche verjähren drei Jahre nach der Kündigung des Vertrages. Die Frist beginnt am 1. Januar des Folgejahres, nächster Stichtag ist also der 31. Dezember. Nachforderungen lassen sich auch für ältere Verträge stellen, die zwischen 1995 und 2001 abgeschlossen und kürzlich gekündigt wurden. Hier sind jedoch ältere BGH-Urteile aus den Jahren 2005 bis 2007 maßgeblich. Offen ist noch der Umgang mit fondsgebundenen Lebensversicherungen – der BdV rechnet allerdings damit, dass der BGH auch Kunden dieser Gattung bald zu höheren Rückkaufswerten verhelfen wird.