Berlin. Die Charité-Spitze hat offenbar schon vor einigen Tagen von den sexuellen Übergriffen eines Pflegers bei einer 14-jährigen Patientin gewusst. Der Klinikleitung sei das Ausmaß des Problems aber nicht bewusst gewesen. Zudem soll der Verdächtige den Sicherheitsbehörden bereits aktenkundig gewesen sein.
Einen Tag nach Bekanntwerden des mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs einer 16-Jährigen an der Berliner Charité durch einen Krankenpfleger hat die Klinikleitung weitere Versäumnisse einräumen müssen. Sowohl Vorstandschef Karl Max Einhäupl als auch der Ärztliche Direktor Ulrich Frei waren bereits zwei Tage nach dem Vorfall informiert - allerdings ohne Details zu kennen, sagten beide am Donnerstag. Darüber hinaus soll der mutmaßliche Täter, der weiterer Übergriffe verdächtigt wird, bereits in der Charité und bei den Sicherheitsbehörden aktenkundig sein. Zudem soll sich ein ehemaliges Opfer bei einem Fernsehsender gemeldet haben.
Der inzwischen suspendierte Pfleger soll eine 16-Jährige am Mittwoch vor einer Woche in der Rettungsstelle sexuell missbraucht haben. Bislang hatte Einhäupl angegeben, er sei erst am Dienstag darüber informiert worden.
"Das habe ich am Freitag nicht richtig erfasst", räumte Einhäupl ein. "Das hätte ich besser verstehen müssen." Schuld an dieser oberflächlichen Bewertung sei sicherlich auch die seiner Ansicht nach mangelhafte "Berichtslinie" in diesem Fall im Unternehmen. "Wir müssen die Fehlerkultur in der Charité verändern", sagte der Klinikchef. Er gehe davon aus, dass auch Frei "die ganze Dimension des Problems" am Freitag noch nicht recht habe erfassen können, sagte Einhäupl weiter. Dieser hatte zuvor eingeschätzt, die Kommunikation "von oben nach unten" scheine nicht recht zu funktionieren.
Noch am Donnerstagabend wollte sich Einhäupl mit Gesundheitssenatorin Sandra Scheeres (SPD) treffen, um über personelle Konsequenzen an der Charité zu beraten.
Strafanzeige Charité-intern umstritten
Zugleich verteidigten Einhäupl und Frei eine späte, erst am Mittwoch dieser Woche erfolgte Strafanzeige gegen den mutmaßlicher Täter, der bereits seit 40 Jahren an der Charité tätig ist. Nicht nur arbeitsrechtliche Erwägungen hätten die ab Montag erfolgte gründliche Prüfung der Vorwürfe begleitet. Auch die Rechtsabteilung des Hauses habe zum Abwarten geraten. Darüber hinaus sei die Belegschaft der betreffenden Abteilung in der Frage "gespalten". Viele Mitarbeiter hätten vor einer Vorverurteilung des Pflegers gewarnt.
Hingegen sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, er sei von einem Rechtsvertreter der Klinik über den Fall informiert worden. Strafanzeige wurde ihm zufolge aber nicht gestellt, Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten von Amts wegen.
Laut Einhäupl sind inzwischen einige Mitarbeiter gebeten, sich um das Wohl das Pflegers zu kümmern, damit dieser sich nichts antue.
Zusammenhang mit weiteren Fällen
Erst auf Nachfragen informierten Einhäupl und Frei über weitere Vorfälle, die mit der Person des Pflegers in Zusammenhang gebracht werden. Im Jahr 2011 habe die Mutter einer Patientin wegen ihres Verdachts auf einen sexuellen Übergriff die Polizei eingeschaltet. Zu diesem Vorgang gebe es Aktenmaterial, sagte Frei. Ein ähnlicher Vorwurf gegen den Mann aus dem Jahr 2009 sei innerhalb der Charité "ausführlich diskutiert worden". Auch Gutachter seien damit befasst gewesen. "Es wurde jedoch kein glaubwürdiges Ergebnis gefunden", sagte Frei. Unklar sei noch ein Fall aus dem Jahr 2005. "Am Montag ist uns klar geworden, dass man die drei Fälle heute rückblickend im Zusammenhang sehen muss."
Der Charité-Chef kündigte darüber hinaus zahlreiche Maßnahmen zur Aufarbeitung der Vorwürfe an. Zunächst seien drei Telefonnummern geschaltet worden, die unter anderem Eltern minderjähriger Patienten Auskunft geben.
Zusätzlich untersucht laut Einhäupl künftig ein spezielles Gremium die Strukturen in der Charité. Es soll ausschließlich mit externen Fachleuten besetzt sein. "Wir wollen herausfinden: Welche Strukturen gibt es, die solche Vorfälle begünstigen", sagte als Beteiligte Julia von Weiler, Geschäftsführerin des Vereins Innocence in Danger. Es sollten nunmehr Mechanismen etabliert werden, die Missbrauch unmöglich machen. Zu den Mitgliedern des Gremiums gehört unter anderen die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. (dapd)