Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof hat ein Grundsatzurteil zu den Aufsichtspflichten von Eltern bei Internetaktivitäten ihrer minderjährigen Kinder gefällt. Eltern haften grundsätzlich nicht dafür, wenn Kinder im Internet illegal Musik tauschen. Anlass war der Fall eines 13-Jährigen, der 1.147 Audiodateien mit Musiktiteln heruntergeladen und mittels Filesharingsoftware in einer Internettauschbörse angeboten hatte.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Aufsichtspflichten von Eltern bei der Internetnutzung ihrer Kinder begrenzt. Eltern müssten die Online-Aktivitäten ihrer Kinder erst dann überwachen, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für eine illegale Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind hätten, entschied der BGH am Donnerstag in Karlsruhe. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüßte die Entscheidung.
Im vorliegenden Fall wies der 1. Zivilsenat des BGH eine Schadenersatzklage mehrerer Musikkonzerne gegen die Eltern eines 13-Jährigen ab. Der Junge hatte über den Internetanschluss seiner Eltern 1.147 Audiodateien mit Musiktiteln heruntergeladen und mittels Filesharingsoftware in einer Internettauschbörse angeboten.
Der BGH hob nun die Urteile der Vorinstanzen auf, die die Eltern zur Zahlung von 3.000 Euro Schadenersatz wegen der Verletzung von Urheberrechten an insgesamt 15 Musiktiteln verurteilt hatten.
Eltern müssten für das illegale Filesharing eines 13-Jährigen grundsätzlich nicht haften, wenn sie das Kind über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen "belehrt" hätten, entschied der BGH.
Ministerin: Eltern müssen Kind nicht hinterher spionieren
Die Justizministerin sagte dem "Münchner Merkur": "Eltern haften nicht unbegrenzt für ihre Kinder - das gilt an Baustellen und auch im Internet. Die Entscheidung unterstreicht: Man muss nicht alles überwachen, was man überwachen kann." Weiter erklärte sie, Eltern müssten "einem 13-jährigen Kind nicht hinterher spionieren". Eltern müssten ihr Kind belehren, dürften ihm aber auch vertrauen. Ein Computer sei heute ein wichtiger Rückzugsraum, gerade für Kinder und Jugendliche.
OLG hatte Eltern zur Zahlung von 3.000 Euro verurteilt
Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hatte zuvor entschieden, die Eltern hätten ihre Aufsichtspflicht verletzt. Bei den von ihnen angeblich vorgenommenen monatlichen Kontrollen hätte ihnen auffallen müssen, dass auf dem Computer ihres Sohnes Filesharingsoftware installiert gewesen sei.
Auf dem Computer waren die Tauschbörsenprogramme "Morpheus" und "Bearshare" installiert; das Symbol des Programms "Bearshare" war auf dem Desktop des PC zu sehen. Von den Musikkonzernen eingeschaltete Ermittler waren dem Sohn über die IP-Adresse auf die Schliche gekommen. Die Eltern hatten ihren eigenen Internetanschluss auch ihrem 13 Jahre alten Sohn zur Verfügung gestellt, dem sie zu seinem zwölften Geburtstag den gebrauchten PC des Vaters überlassen hatten.
Anwalt: Früher hat auch eine Ohrfeige nicht geschadet
In der Revisionsverhandlung war zwischen den Anwälten ein heftiger Streit nicht nur über die juristischen Belange, sondern auch über Kindererziehung entbrannt. Der Anwalt der beklagten Eltern, Herbert Geisler, sagte, Eltern dürften "keine Atmosphäre des Misstrauens" schaffen. Es sei wichtig, dass sich ein Kind zu einem selbstständigen und verantwortungsvollen Menschen entwickele. Von einem 13-Jährigen könne man erwarten, dass er sich an Vorgaben der Eltern halte, ohne dass diese ihn ständig kontrollieren müssten.
Der Anwalt der Musikkonzerne, Hermann Büttner, hielt entgegen, er habe manchmal den Eindruck, dass "für viele Eltern Erziehung ein Fremdwort geworden ist". Man könne nicht einfach sagen, man dürfe keine Atmosphäre des Misstrauens schaffen, damit sich das Kind gut entwickle. Es sei wichtig, dass Eltern sich mit ihrem Kind deutlich besprechen würden und ihnen "Grenzen und Gefahren" aufzeigten. Bei Grenzüberschreitungen des Kindes sei man früher noch ganz anders vorgegangen. "Da hat auch mal eine Ohrfeige nicht geschadet", sagte Büttner.