Annecy. . Musste die britische Familie in den französischen Alpen sterben, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort war? Die Schilderungen der siebenjährigen Tochter der Familie, die das Attentat überlebte, lassen den Schluss zu, dass das eigentliche Ziel des Schützen der Radfahrer am Tatort war.

Für die Polizei war Sylvain Mollier bisher ein „Zufallsopfer“. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Weil er mit seinem Fahrrad vorbeikam, als ein Unbekannter in den französischen Alpen Saad al-Hilli, dessen Frau Iqbal und deren Mutter Suhaila erschoss. Ein unerwünschter Zeuge, der sterben musste, damit er nicht reden konnte.

Doch nach sechs Wochen gibt es Zweifel an dieser Theorie. Nach Berichten englischer und französischer Zeitungen und TV-Sender war es genau umgekehrt. Von „Bewegungsprofilen“ ist die Rede und von „unterschiedlichen Einschusswinkeln“, die auf den Radfahrer als erstes Opfer hinweisen. Die Spuren, heißt es, zeigten ein „unorganisiertes Verhalten“. Nichts, was ein Profi-Killer an den Tag legen würde.

Spekulationen über Doppelleben

Der „Daily Telegraph“ will außerdem Zugang zu den Aussagen der siebenjährigen Tochter Zainab gehabt haben, die die Tat überlebt hat. Sie soll in ihrer Befragung erzählt haben, der unbekannte Schütze habe zunächst auf den Radfahrer geschossen. Sie selbst und ihr 50-jähriger Vater hätten sich, so die Zeitung weiter, außerhalb des Autos aufgehalten, seien dann aber sofort zum Rest der Familie gelaufen. Saad al-Hilli habe die Türen verriegelt und versucht, wegzufahren. Doch dabei, meldet der Sender „France 3“, habe er den bordeauxroten BMW-Kombi rückwärts in die Böschung gesetzt und festgefahren.

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So habe der Killer Gelegenheit gehabt, ihre Eltern und ihre Oma zu erschießen. Das Kind selbst wurde an der Schulter verletzt und niedergeschlagen, überlebte die Tat aber. Genau wie ihre vierjährige Schwester, die sich im Fußraum des Autos hinter den Beinen ihrer Mutter verstecken konnte. Anschließend, zitieren französische Medien, sei der Mörder zum niedergeschossenen Mollier zurückgekehrt und habe den 45-Jährigen mit fünf Schüssen in den Kopf förmlich hingerichtet, bevor er ihn in die Nähe des Autos schleifte.

Angebliches Mordmotiv

Auch ein Motiv für den Mord an Mollier gibt es angeblich. Der dreifache Vater arbeitete für ein Unternehmen des französischen Atomkonzerns Areva, der vor einigen Jahren angeblich gegen das UN-Embargo verstoßen und angereichertes Uran an den Iran geliefert haben soll. Auch Ermittlungsleiter Benoît Vinnemann hatte im Fernsehen über ein Doppelleben Molliers spekuliert, ohne allerdings Einzelheiten zu verraten.

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Von einer Wende im Fall will Vinnemann dann auch jetzt offiziell nicht sprechen. Bislang gebe es „nichts, das gestatten würde, die genaue Reihenfolge der Morde festzulegen“, behauptet er. Und der zuständige Staatsanwalt von Annecy, Eric Maillaud, sekundiert: „Die Experten haben dem Untersuchungsrichter erklärt, dass sie nicht in der Lage seien, die Reihenfolge der Schüsse festzustellen.“

Angehörige fühlen sich bestätigt

Allerdings bestätigte der Staatsanwalt, dass Familienvater Al-Hilli zeitweise aus dem Auto ausgestiegen war. Die Angehörigen der ermordeten britischen Familie fühlen sich durch die neuen Berichte bestätigt. „Sich nur auf die Familie zu konzentrieren, ist nicht angemessen“, sagte Ahmed al-Saffar, der Onkel der erschossenen Ehefrau, am Montag dem britischen Radiosender BBC.

Bisher hatte die Polizei Spuren im Umfeld der Familien verfolgt und war auf eine illegale Waffe, Streit unter Brüdern und eine größere Summe Geld gestoßen. Für Ahmed al-Saffar alles „kein Grund“, weshalb die Familie ins Visier geraten sein könnte. Die französische Staatsanwaltschaft, forderte er, solle „professionelle Ermittlungen“ führen und „keine Spur ausklammern“.