Paris/London. . Nach dem Massaker in französischen Alpen ist den Ermittlern klar: Es handelt sich um Profi-Killer. Die Ursache könnte ein Familienstreit sein. Die wichtigste Zeugin, ein siebenjähriges Mädchen, das die Bluttat überlebte, ist bislang nicht vernehmungsfähig.
Das rätselhafte Massaker nahe dem französischen Alpen-Dörfchen Chevaline weist eine sehr auffällige Handschrift auf: die von professionellen Killern. Denn die britische Familie wurde mit jeweils zwei gezielten Schüssen in den Kopf hingerichtet. Das haben Untersuchungen ergeben. „Hier waren Auftragskiller am Werk“, heißt es aus Ermittlerkreisen. Die vier Jahre alte Zaina überlebte das Blutbad wie durch ein Wunder. Das verängstigte Kind kauerte acht Stunden unter der toten Mutter, ihre sieben Jahre alte Schwester ist außer Lebensgefahr.
Zu den Schlüsselfiguren zählt ein ehemaliger Soldat der Royal Air Force, der auf der Waldstrecke eine Radtour unternahm. Als der Zeuge am Tatort eintraf, sah er zuerst die siebenjährige Zehab, die vor seinen Augen blutüberströmt zusammenbrach. In dem weinroten BMW mit laufendem Motor entdeckte er die drei Toten: den Geschäftsmann Saad Al-Hilli (50) am Steuer, auf der Rückbank dessen Frau Iqbal (47) mit der 74 Jahre alten Schwiegermutter. Neben dem Auto lag Sylvain Mollier, der Radfahrer, der den Ex-Soldaten erst wenige Minuten zuvor überholt hatte. Geistesgegenwärtig brachte der Ex-Soldat das Kind in die stabile Seitenlage. Und macht eine wichtige Beobachtung: Mehrere Fahrzeuge preschen in Tatortnähe davon, darunter ein weißer Geländewagen.
Die wichtigste Zeugin ist noch nicht vernehmungsfähig
Zehab, die wohl wichtigste Zeugin, ist auch 48 Stunden später immer noch nicht vernehmungsfähig. Immerhin: Das Mädchen, schon zweimal operiert und von schwer bewaffneten Polizisten geschützt, schwebt nicht mehr in Lebensgefahr. Unterdessen versuchen die Ermittler verzweifelt, mit Hilfe von Dolmetschern ihre kleine Schwester zu befragen. Sie erinnere sich jedoch an nichts, bedauert Staatsanwalt Eric Maillaud. „Nur an Schreie.“ Als die kleine Zaina aus dem BMW befreit wird, sagt sie immer wieder: „Wo ist meine Mama?“.
Eine erste Spur führt von Chevaline nach Claygate, in den schmucken Vorort in der Grafschaft Surrey südlich von London, in dem die Opfer, die Al-Hillis, wohnten. Offenbar haben sich Saad Al-Hilli und sein Bruder zerstritten. Ein Erbschaftszwist, in dem es um viel Geld geht: angeblich um 1,2 Millionen. Mittlerweile hat sich auch der britische Geheimdienst in den mysteriösen Mordfall eingeschaltet.
Streit um Immobilien mit dem Bruder
„Saad war ein toller Typ“, berichtet Jack Saltman in der BBC. „Einer, den man abends um 20 Uhr mit einer Autopanne anrufen konnte und der einem dann bis Mitternacht half, den Wagen wieder flott zu machen.“ Keine Frage, der tote Iraker, der seit 2002 britischer Staatsbürger ist, genoss im idyllischen Claygate einen exzellenten Ruf als Techniker, Tüftler und Tausendsassa.
Doch Nachbar Saltman weiß auch, dass es für Al-Hilli in letzter Zeit nicht ganz rund lief. So soll Saad al-Hilli sich nach Informationen der „Daily Mail“ mit seinem Bruder um Immobilien in Frankreich, der Schweiz, in Spanien und im Irak gestritten haben. Die französische Staatsanwaltschaft bestätigte gestern, dass sie den Bruder ausführlich befragen will. „Es ist allerdings schwer vorstellbar, wie aus einem Geldstreit ein Vierfachmord werden kann“, so Staatsanwalt Eric Maillaud.
Vergleiche mit einem früheren Kriminalfall
Saad al-Hilli hätte vor Urlaubsantritt ein ungutes Gefühl gehabt. „Er bat mich am Tag seiner Abreise, ein Auge auf sein Haus zu haben“, so Nachbar Jack Saltman. Andere Freunde bezeichnen den Urlaub als „überstürzt“. Erst kürzlich habe man sich noch zum Kaffee getroffen und der Camping-Trip sei mit keinem Wort erwähnt worden, berichtet einer.
Britische Medien vergleichen das Massaker von Chevaline mit der so genannten „Affäre Dominici“ vor 60 Jahren. Ein Kriminalfall, der erstaunliche Parallelen aufweist, denn auch damals wurde eine britische Camperfamilie in Frankreich ermordet. Der damals wegen dreifachen Mordes zum Tode verurteilte Landwirt Gaston Dominici wurde später zum Entsetzen der Briten von General De Gaulle begnadigt.