Essen. . Angel’s Share, so nennt man in Schottland den Anteil an Alkohol, der während der Lagerung eines Whiskys im Fass durch das Holz hinweg verdunstet. Dass dieser Anteil schon drei volle Flaschen umfassen kann, davon erzählt auf sehr vergnügliche Weise der Film „Angel’s Share – Ein Schluck für die Engel“.
Das lässt aufhorchen. Schließlich ist doch Ken Loach in England der Regisseur mit der klaren politischen Linie. Der Mann steht links und hat das in über 40 Schaffensjahren nachhaltig dokumentiert; so sehr bisweilen, dass Anliegen und Botschaft sich bis zum Ersticken über die eigentliche Filmerzählung stülpten.
Es gab aber auch immer wieder Filme, in denen sich gesellschaftskritische Aussage und dramatische Kraft auf fesselnde, manchmal auch aberwitzig komische Weise zueinander fanden. „Riff-Raff“ war so ein Film, auch „My Name Is Joe“ oder „Just a Kiss“ gehörten dazu. In seinem vorletzten Film „Looking for Eric” schlug Ken Loach sogar märchenhafte Töne an und man durfte glauben, dass auch ein Klassenkämpfer irgendwann zu Altersmilde findet. Dieser Eindruck scheint nun mit „Angel’s Share“ Bestätigung zu finden, doch das gilt nur für den ersten Blick.
Sozialstunden statt Knast
Robbie stammt aus schwierigen Verhältnissen. Mit Mitte zwanzig steht er am Abgrund, weil ihm das Temperament durchging und er im Affekt einen jungen Mann so schwer zusammenschlug, dass dieser ein Auge verlor. Gleichzeitig erreicht ihn die Nachricht, dass seine schwangere Freundin kurz vor der Niederkunft steht. Dieser Umstand bringt ihm vor Gericht mildernde Umstände ein; statt Knast hat er nun Sozialstunden abzureißen. Der Leiter der Gruppe erweist sich als bodenständiger Kerl, der den ihm anbefohlenen jungen Leuten mit Fairness begegnet.
Besonders Robbie weckt sein Interesse, denn der Junge hat einen feinen Instinkt für guten Whisky. Dann macht die Nachricht von einer Veranstaltung die Runde, bei der ein Fass mit dem vielleicht erlesensten Erzeugnis in der Geschichte des Single Malt versteigert werden soll; und in Robbie reift ein tollkühner Plan und drei neue Freunde ziehen mit.
Vier junge Leute und einige Charakterknochen
Schottland ist ein Ort extremer Gegensätze. Zwischen den Slums von Glasgow und der Idylle der Highlands klafft eine schier unfassbare Lücke. Ken Loach trägt beidem Rechnung, etabliert zunächst ein Klima beständiger Gewaltbereitschaft und steuert dann hinreißend leichtfüßig hinüber zu einer Gauner-Einbrecher-Pistole, die der Finesse des Details ebenso Rechnung trägt wie der sagenhaft spannenden Emotion, dass man der Unmoral ganz feste die Daumen drückt. Dazu gibt es fabelhafte Nachwuchsakteure, deren Namen man nicht kennt und genau genommen auch nicht kennen muss. Denn das gehört bei Ken Loach zum Programm, dass er mit fast jedem neuen Film auch neue Gesichter von der Straße hervorzaubert; Gesichter, die Profil und Charakter haben, eben eigen sind. So eigen, dass sie wohl nur unter der Regie eines Ken Loach zur vollen Entfaltung kommen können.
Die vier jungen Leute und einige wenige alte Charakterknochen aus bester britischer TV- und Theaterschule bilden ein Ensemble, dem man gespannt und amüsiert zuschaut. Mag sein, dass Loach nicht mehr mit ganz scharfem Zahn zubeißt, dafür bereiten seine Filme nun umso mehr Freude beim Zuschauen. Was sollte daran schlecht sein?