Moskau. . Sie folgten einem selbst ernannten Propheten und gruben sich acht Stockwerke in die Tiefe. Dort hausten die 64 Mitglieder einer Sekte über Jahre, um die Vision ihres greisen Führers von einem unterirdischen Kalifat zu leben. Gott, behauptet der heute 85-Jährige, habe ihm dazu den Auftrag erteilt.

Eine muslimische Sekte entsetzt die russische Öffentlichkeit. In Kasan, Hauptstadt der Wolgarepublik Tatarstan, entdeckte die Polizei Anfang August einen illegalen „Gottesstaat“. Dessen 64 Bewohner hatten sich fast vollständig von der Außenwelt isoliert, lebten jahrelang in selbst gegrabenen Katakomben, und verweigerten den eigenen Kindern medizinische Versorgung. Wie die Zeitung Kommersant berichtet, stürmten Beamte des Inlandsgeheimdienstes und Einsatzpolizisten das Sektengrundstück in einem Vorort Kasans. Dabei entdeckten sie auch 27 Kinder, die in ein örtliches Krankenhaus gebracht wurden, darunter eine schwangere 17jährige.

Wie Rais Sulejmanow vom Wolgazentrum für Regionale und Ethnisch-Religiöse Studien unserer Zeitung mitteilte, handelt es sich um Anhänger des 85-jährigen Faisrachman Satarow. Satarow, ein ehemaliger muslimischer Mullah, erklärte sich Mitte der 90er-Jahre zum Gesandten Allahs. Er behauptet, Gott spreche im Traum zu ihm. Vor 16 Jahren bezogen er und seine Jünger das 700 Quadratmeter große Grundstück in Kasan und erklärten es zum Kalifat, zum heiligen Gottesstaat. Seine Anhänger glauben, niemand außer ihnen werde ins Paradies gelangen, sie schwören ihrem Führer die Treue und überlassen all ihrem Besitz der Sekte.

„Faisrachmanen“ hoben ihreneigenen Brunnen aus

Seit 2001 sollen sich die „Faisrachmanen“ völlig von der Außenwelt abgekapselt haben. Sie hoben ihren eigenen Brunnen aus, errichteten ein kleines Dieselkraftwerk, bauten eine Moschee und begannen Katakomben zu graben, die laut Kommersant acht Stockwerke tief sind, Sulejmanow sprach nach dem Studium der Polizeivideos jedoch von nur zwei unterirdischen Stockwerken.

Das Staatsfernsehen und mehrere russische Zeitungen berichteten, die „Faisrachmanen“ hätten ihre Kinder jahrelang in diesen Höhlen ohne Ventilation und Toiletten gehalten, viele hätten das Tageslicht nie gesehen. Allerdings sagte ein Nachbar der Komsomolskaja Prawda, er habe oft Kindergeschrei auf dem ummauerten Hof gehört, aber nur selten ein Kind zu Gesicht bekommen. „Wir lassen sie in Ruhe, und sie lassen uns in Ruhe.“

Nach Aussagen der Anwohner verließen bärtige Männer nur sporadisch das Grundstück. Die Sektenmitglieder hätten nie versucht, sie zu missionieren. „Sie sind nicht aggressiv“, erklärt Sulejmanow. Die Sekte sei für die Außenwelt viel weniger gefährlich als für ihre Mitglieder, vor allem für ihre Kinder. Die Faisrachmanen lehnten es ab, ihren Nachwuchs zur Schule zu schicken oder medizinisch zu versorgen. „Satarow selbst hat mir gesagt, wenn ein Kind krank sei, lasse man es lieber sterben, als es mit teuflischer Medizin zu kurieren.“

Der isolierte Gottesstaat war offenbar sehr arm. Allah soll Satarow im Traum sogar verkündet haben, seine Gläubigen dürften keinen Tee mehr trinken. Sie begnügten sich danach mit einem billigeren Kräutergebräu.

Dem greisen Sektenführer droht jetzt ein Strafverfahren

Laut Sulejmanow versuchten Kasaner Sozialarbeiter jahrelang vergeblich, auf das Sektengrundstück zu gelangen. Erst nachdem im Juli ein hoher islamischer Geistlicher einem Attentat zum Opfer fiel, ein anderer schwere Verletzungen davontrug, wurde die Polizei bei der Fahndung nach islamischen Extremisten auf die Faisrachmanen aufmerksam.

Nun droht dem greisen Sektenführer Faisrachman Satarow ein Strafverfahren wegen widerrechtlicher Eigenmächtigkeit, drei seiner Jünger müssen sich wegen Vernachlässigung und Misshandlung ihrer Kinder verantworten. Außerdem prüfen die Behörden, ob sie den Eltern unter den Sektenmitgliedern das Sorgerecht für ihre Kinder entziehen. Die Gebäude des Kalifats sollen zudem abgerissen werden.