Moskau. In einem mutigen Schlusswort zum Prozess gegen sie wegen “Rowdytums“ wirft Nadeschda Tlokonnikowa den Behörden Willkür vor. Das Urteil soll am 17. August fallen. Beobachter rechnen mit einer Haftstrafe unter drei Jahren. Madonna und Yoko Ono fordern die Freilassung der Frauen.
Das Urteil im Prozess gegen die Musikerinnen der PunkBand "Pussy Riot", die in einer Moskauer Kathedrale gegen Präsident Wladimir Putin protestiert hatten, soll erst am 17. August bekanntgegeben werden. Das entschied Richterin Marina Syrowa am Mittwoch nach den Schlusserklärungen der drei angeklagten Frauen. Die Staatsanwaltschaft hatte am Dienstag drei Jahre Gefängnis wegen Rowdytums aus religiösem Hass gefordert. Das maximale Strafmaß sind sieben Jahre Haft.
Mit zitternder Stimme sagte eine der Musikerinnen, Nadeschda Tolokonnikowa, in ihrem mutigen Schlusswort zum Verfahren: "Mit jedem Tag beginnt eine wachsende Zahl von Leuten zu erkennen, dass dieses politische System Angst vor der Wahrheit und unserer Ernsthaftigkeit, wenn sich die politische Maschinerie gegen Mädchen wendet, die 40 Sekunden in der Christ-Erlöser-Kathedrale aufgetreten sind." Mit einem Blick auf die Ankläger sagte sie: "Wir haben mehr Freiheit als diese Leute von der Staatsanwaltschaft - weil wir sagen, was wir wollen." Tolokonnikowa verglich den Prozess gegen sie mit der Stalin-Zeit. Das Verfahren sei eine "politische Unterdrückungsanordnung. Während des gesamten Verfahrens wurde uns nicht zugehört", beklagte die 22-jährige Tolokonnikowa aus einem Glaskasten heraus, in dem die Frauen im Gerichtssaal eingesperrt werden. Der Prozess sei vergleichbar mit den berüchtigten Schnellverfahren zur Zeit des sowjetischen Diktators Josef Stalin. "Unser Platz ist in Freiheit und nicht hinter Gittern", sagte sie. "Pussy Riot sind die Schüler und Nachfahren der Dissidenten." Gleichzeitig sagte die Angeklagte den "Kollaps dieses politischen Systems" voraus.
Eine Frage von Meinungs- und Religionsfreiheit
Die 23-jährige Tolokonnikowa, die 24-jährige Jekaterina Samuzewitsch und die 29-jährige Maria Alechina hatten am 21. Februar in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale gegen Putin protestiert. Seit fünf Monaten sind sie inhaftiert. Mit Skimützen vermummt und in Minikleidern hatten sie ein "Punk-Gebet" vorgetragen: "Jungfrau Maria, Mutter Gottes, räume Putin aus dem Weg". Für viele russisch-orthodoxe Gläubige war schon Kleidung und Vermummung Blasphemie. Der Vorfall spaltete die russische Gesellschaft und erregte internationales Aufsehen: Wie gehen der russische Staat und seine Justiz mit Meinungs- und Religionsfreiheit um?
Eine Anwältin der Angeklagten, Violetta Wolkowa, sagte vor Gericht, wenn ihre Mandantinnen wirklich zu Haftstrafen verurteilt würden, dann hätten die russischen Behörden "ihre Entscheidung gefällt". "Das würde bedeuten, dass sich die Behörden für den Weg der Diktatur entschieden haben." Ein ranghoher Duma-Abgeordneter rechnete der Zeitung "Nesawisimaja Gaseta" zufolge indes mit einer Strafe unterhalb des geforderten Strafmaßes, jedoch nicht mit einer sofortigen Freilassung. "Sonst würde sich ja die Frage stellen, weshalb sie überhaupt inhaftiert wurden", zitierte die Zeitung die Quelle.
Unterstützung von Yoko Ono, Madonna und westlichen Politikern
Der Prozess ist in Russland und im Ausland umstritten und gilt als politisch motiviert. Nachdem bereits Popstar Madonna Freiheit für die Band gefordert hatte, forderte John Lennons Witwe Yoko Ono Putin auf, alles für die Freilassung der Frauen zu tun. "Herr Putin, Sie sind ein kluger Mann, Sie müssen nicht gegen Musiker und deren Freunde kämpfen", schrieb sie in dem Internetdienst Twitter. "Lassen Sie in den Gefängnissen noch Platz für wahre Kriminelle." Auch Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg sagte Pussy Riot laut der Zeitung "Kommersant" seine Unterstützung zu.
Der Vize-Sprecher der Bundesregierung, Georg Streiter, sagte in Berlin, der Prozess und das geforderte Strafmaß würden "mit Sorge betrachtet". In einem Brief an den russischen Botschafter in Berlin, Wladimir Grinin, hatten bereits am Dienstag 121 Bundestagsabgeordnete aller Parteien schwere Vorwürfe gegen die russische Justiz erhoben und die Strafandrohung als "drakonisch" bezeichnet. (dapd/afp)