Essen. . Täglich verschwinden etwa 130 Tier- und Pflanzenarten von unserem Planeten - vom riesigen Mammut bis zum kleinen Frosch. Forscher schlagen jetzt Alarm und mahnen: Denn das Artensterben birgt auch Risiken für den Menschen.

Der Magenbrüterfrosch, dieses putzige, kleine, braune Tierchen mit den großen Augen, erlitt das gleiche Schicksal wie sein großer Kollege, der „Einsame George“. Vor Jahren schon. Als letzter seiner Art starb die Galapagos-Riesenschildkröte vor drei Wochen. Der Magenbrüterfrosch wurde schon länger nicht mehr gesehen. Er gilt als ausgestorben.

Schlecht für uns Menschen, sagen Wissenschaftler. Denn der Froschlurch hatte eine Fähigkeit, um den Mediziner den quakenden Kumpan beneiden: Er brütete seine Kaulquappen im Magen aus. Die verschluckten Nachkommen bildeten dort ein Hormon, das die Produktion von Magensäure hemmte. Was sie überleben ließ in der ungewöhnlichen Umgebung.

Forscher hätten dieses Phänomen gerne ergründet, erhofften sie sich doch Erkenntnisse für die Behandlung von Magenproblemen und Magenkrebs beim Menschen. „Wir werden dieses Geheimnis nie ergründen“, sagt Volker Homes, Artenschutzexperte beim WWF. Die Kröte muss man schlucken.

Liste der bereits ausgestorbenen Tiere und Pflanzen ist lang

Vom riesigen Mammut bis zum kleinen Frosch, die Liste der bereits ausgestorbenen Tiere und Pflanzen ist lang. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen zur Artenvielfalt verschwinden bis zu 130 Tier- und Pflanzenarten von unserem Planeten. Täglich. Nach jüngsten Untersuchungen der Weltnaturschutzorganisation International Union for Conversation of Nature (IUCN) nimmt die Zahl der bedrohten Tiere und Pflanzen dramatisch zu. Von den knapp 64.000 beobachteten Arten seien fast 20.000 vom Aussterben bedroht. „Jede verschwundene Spezies bedeutet eine verpasste Chance“, sagt Homes.

Die jüngsten Zählungen der IUCN klingen dramatisch: 41 Prozent der Amphibien sind bedroht, 33 Prozent der Korallen, 25 Prozent der Säugetiere, 13 Prozent der Vögel und jede fünfte Pflanze. Ein von Menschen geschaffenes Problem. Homes nennt die Gründe: „Übernutzung, Übersammlung, Überfischung. Was die Arten bedroht, ist das Verschwinden ihrer Lebensräume.“ Die Erkenntnis ist nicht neu, fast gebetsmühlenartig plädieren Naturschützer seit mehr als 20 Jahren für mehr Nachhaltigkeit.

Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass es beim Artenschutz um mehr als das Überleben des letzten Wals oder der letzten Kobra geht. Artensterben, so weiß man heute, birgt Risiken für den Menschen. Laut IUCN werden die Hälfte der 100 meist verschriebenen Medikamente in Industrienationen aus Tieren und Pflanzen gewonnen. Mehr als 70.000 Pflanzen – von der in fast jeder Küche beheimateten Kamille bis zur in hiesigen Breiten eher unbekannten Jaborandipflanze – werden in der Medizin eingesetzt.

Eine Pflanze hilft gegenden "Grauen Star"

Beispiel Jaborandi, ein Kraut, das nur im Norden Brasiliens wächst und – natürlich – vom Aussterben bedroht ist. Von den Einwohnern des südamerikanischen Staates wird es seit Jahrhunderten genutzt, die moderne Medizin hat es vor einigen Jahren entdeckt. Denn aus den Blättern der Pflanze wird Pilocarpin extrahiert, die Grundlage für ein Medikament gegen den „Grünen Star“. „Übersetzt“, erklärt Tomas Inhetvin, „heißt Jaborandi ,das, was uns zum Sabbern bringt’“. Inhetvin arbeitet als Projektkoordinator für die Deutsche Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit (GIZ) in Sao Paulo.

In Kooperation mit der brasilianischen Umweltbehörde, einem brasilianischen Pharmaunternehmen und dem Pharma-Riesen Böhringer-Ingelheim sorgt die GIZ – auch mit deutschen Fördermitteln – für die nachhaltige Nutzung von Jaborandi. „Wir arbeiten mit der Bevölkerung an einer neuen Erntemethode, die den Bestand der Pflanze sichert“, erläutert Inhetvin. „Insgesamt profitieren 1700 Sammlerfamilien von dem Projekt. Sie sichern ihr Einkommen von etwa 1500 Euro im Jahr und verbessern ihre Lebensqualität“, fügt Inhetvin hinzu.

„Nachhaltigkeit ist eine Frage von Leben und Tod für die Menschen auf unserem Planeten“, erklärte IUCN-Chefin Julia Marton-Lefévre bei der Bekanntgabe ihrer jüngsten Zählungen. „Eine nachhaltige Zukunft kann nicht erreicht werden, ohne die Artenvielfalt zu erhalten – die der Tier- und Pflanzenarten, ihrer Lebensräume und ihrer Gene...“