Essen. Nach Gewalttaten auf offener Straße wie in München, werden die Rufe nach einer flächendeckenden Video-Überwachung lauter. Großbritannien ist schon mit rund 4,2 Millionen Kameras gepflastert. Eine Polizei-Studie entlarvt dieses landesweite Überwachungs-System jedoch als Aufklärungs-Niete.

Anfang der 90er-Jahre sollten die Kameras zunächst für die Sicherheit in den Einkaufszentren sorgen. Dann machte die britische Labour-Regierung das Video-Überwachungssystem CCTV (closed-circuit-television) zu einem wichtigen Instrument der Kriminalitätsbekämpfung. Doch die ausschweifende Überwachungs-Euphorie hat nun einen herben Dämpfer erhalten: Laut einem internen Bericht der Londoner Polizei wird pro 1.000 Überwachungskameras lediglich ein einziges Verbrechen aufgeklärt.

Das ist insbesondere so bitter, weil laut BBC landesweit rund 500 Millionen Pfund in das Überwachungs-System geflossen sind. Nach Zahlen aus dem Jahre 2003 gibt es etwa 4,2 Millionen Überwachungskameras in Großbritannien, also eine Kamera für 14 Einwohner. Jeder Brite gerät durchschnittlich 300 Mal am Tag ins Kamera-Visier. Trotz dieser intensiven Überwachung werden in London beispielsweise jedoch nur drei Prozent der Diebstähle auf offener Straße mit Hilfe von Video-Kameras aufgeklärt, bemängelt Mike Neville, Leiter des Bereichs Video-Überwachung bei Scotland Yard. Diese Quote sei „ein Fiasko“.

Kameras nur an Brennpunkten

Gegen eine flächendeckende Video-Überwachung: GdP-Vorsitzender Konrad Freiberg.
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Gegen eine flächendeckende Video-Überwachung: GdP-Vorsitzender Konrad Freiberg. Foto:ddp © AP

Von einer flächendeckenden Überwachung ist Deutschland weit entfernt, versichert Konrad Freiberg, Chef der Polizeigewerkschaft GdP: „Wir haben viel Video-Überwachung im privaten Breich. Aber im öffentlichen Bereich gibt es sie nur an einzelnen kriminalistischen Brennpunkten.“ Laut NRW-Innenminsterium hat die Polizei an Standorten in Bielefeld, Mönchengladbach, Düsseldorf und Aachen eigene Kameras installiert. Eine flächendeckende Video-Überwachung wie auf der britischen Insel hält Freiberg ohnehin für wenig sinnvoll. „Es muss auch immer jemand da sein, der sich die Video-Bänder ansieht“, gibt er zu bedenken.

Eben dieser Punkt scheint ein wesentliche Schwachstelle des britischen Konzeptes zu sein. Laut Mike Neville würden die aufgezeichneten Bänder oftmals gar nicht gesichtet. Ferner gebe es zu wenig geschultes Personal dafür. Auch die Abschreckungswirkung der Kameras sei gering: Viele Kriminelle gingen von vornherein davon aus, dass die Kameras nicht funktionstüchtig seien.

Mensch statt Technik

„Man kann nicht nur auf Technik setzen. Es müssen Polizisten vor Ort sein, die man sehen und spüren kann“, meint der Sprecher der Essener Polizei, Hans-Peter Elke. In der Ruhr-Metropole gebe es keine öffentlichen Plätze, die von der Polizei per Kamera überwacht werden. Ausnahme seien die Bahnhofsvorplätze. Auf die Kameras der Deutschen Bahn kann die Bundespolizei bei Bedarf zugreifen.

Gänzlich verteufeln möchte Elke die Video-Überwachung jedoch auch nicht. So könnte es durchaus hilfreich sein, wenn sich die Polizei bei Notfällen in private Überwachungsysteme, beispielsweise von Geschäften, einklinken würde. „Je schneller wir mehr Informationen vom Einsatzort bekommen, desto effektiver können wir unsere Maßnahmen gestalten.“

73 Prozent wollen vollständige Überwachung

Auch die Mehrheit der Deutschen steht den "künstlichen Augen", die das Leben an öffentlichen Plätzen beobachten, nicht abgeneigt gegenüber. Ganz im Gegenteil: Laut einer aktuellen Forsa-Studie halten 73 Prozent der Bundesbürger eine vollständige Überwachung von öffentlichen Plätzen und Gebäuden bis hin zu großen Einkaufszentren für richtig.

GdP-Chef Freiberg kann den Wunsch nach Video-Überwachung zumindest im Bereich des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs nachvollziehen. „Bei dieser Video-Überwachung ist die Verbrechensbekämpfung zweitrangig. Wichtiger ist es da, das subjektive Sicherheitsbefinden zu stärken.“ (mit Afp)