London. Der Wohnraum in London ist im Schatten der neuen Stadien unbezahlbar geworden. Nun sollen Sozialhilfeempfänger umziehen. Doch die „Soziale Säuberung“ sorgt für Empörung.

Gerüste fallen, Bagger rücken ab, Sichtzäune verschwinden: Die Wiedergeburt des heruntergekommenen Londoner East Ends gilt europaweit als strahlendes Beispiel für eine erfolgreiche Stadtteilsanierung. Doch wer hier wohnt, hat davon nicht viel. Weil die steigenden Mieten selbst städtische Budgets sprengen, sollen Sozialhilfeempfänger jetzt aus dem Schatten des Olympia-Stadions ins 260 Kilometer entfernte Stoke-on-Trent umziehen.

Um in Großbritanniens altem Armenhaus ein Dach über dem Kopf zu finden, muss man ziemlich wohlhabend sein. Unter 75 000 Euro Haushaltseinkommen pro Jahr, so rechnet die Obdachlosen-Einrichtung „Shelter“ vor, kann sich eine Familie den Osten der britischen Hauptstadt nicht mehr leisten. Weil die Sanierung den letzten erschwinglichen Wohnraum in der Metropole vernichtet, müssen viele Durchschnittsverdiener der Stadt komplett den Rücken kehren. Die Ärmsten trifft es als Erstes.

Für 500 Familien sucht etwa die Stadtteilverwaltung von Newham, Herberge des Olympia-Stadions, ein neues Zuhause im Norden der Insel. Eine entsprechende Anfrage hat die Kommune Stoke-on-Trent erhalten, die seit dem Niedergang seiner Porzellan-Industrie gegen den Verfall kämpft. Wohnraum gibt es hier zu Schnäppchen-Preisen, die Newham für seine Armen auch zu zahlen bereit gewesen wäre.

Hässliche Diskussion

Doch die Idee wird zum Flop: Drei Monate vor Auftakt der Spiele hat der vermeintlich findige Londoner Bezirksrat eine hässliche Diskussion losgetreten. „Eine solche soziale Säuberung ist problematisch“, übermittelte ihm Gill Brown ihre Meinung in den landesweiten Abendnachrichten. „Der Brief aus Newham hat uns schockiert“, so die Wohnungsverwalterin aus Stoke weiter. „Er zeigt eine Entwicklung, bei der tausende Arme abgeschoben werden sollen, ohne dass es für sie am Zielort die notwendige Infrastruktur gibt.“

Gill Brown war übrigens nicht die Einzige, die Post aus dem Olympia-Bezirk bekommen hat: An 1179 Wohnungsverwaltungen im ganzen Land haben die Beamten in ihrer Verzweiflung geschrieben. Das Mietpreis-Niveau ist um 24 Prozent angezogen, über 32 000 Familien stehen auf der Warteliste des Bezirks. Was nach der empörten Reaktion aus Stoke-on-Trent mit ihnen geschehen soll, ist unklar.

Die Labour-Abgeordnete Karen Buck bezeichnet Newhams Problem als „Spitze des Eisbergs“. Die Situation verschärft sich, weil die Tory-Regierung auf ihrem Sparkurs trotz explodierender Mieten in London die Zuschüsse für Sozialhilfeempfänger gekürzt hat. Mit 35 000 neuen Obdachlosen rechnet die Universität Cambridge deshalb in naher Zukunft.

Europas teuerste Stadt

Selbst Durchschnittsverdiener können sich nach Angaben der Organisation Shelter 26 der 32 Metropolenbezirke nicht mehr leisten. Wer den Londoner Miet-Markt verfolgt, der weiß: In Europas teuerster Stadt sind die Preise niemals nach unten korrigiert worden.

Ohne stundenlange Anfahrtswege oder Berufstätigen-WGs konnten sich viele Angestellte den Job an der Themse schon vor dem Olympia-Boom nicht leisten. Bei weiter kletternden Preisen gibt es für sie auch keine Alternative: Eigenkapital für einen Immobilienkredit haben sie nicht übrig. Die Frage, wie also die Mietpreise zu bremsen sind, ist auch kurz nach der Bürgermeisterwahl noch das beherrschende Thema in der Acht-Millionen-Metropole. Mit einer Lösung konnte keiner der Kandidaten aufwarten.