Essen. Lego „Friends“ ist in Deutschland kaum auf dem Markt, schon erregt es die Gemüter von Pädagogik-Experten. Das Spielzeug reduziere Mädchen auf Schönheit und soziale Kontakte, klagen sie. „Das ist wie Barbie – nur noch schlimmer.“
„Heartlake City“ ist der Ort, an dem Mädchen echte Mädchen sind. So steht es im Pressetext von Lego. Doch was der dänische Spielzeughersteller unter „echten Mädchen“ versteht, lässt mancher emanzipierten Mutter die Haare zu Berge stehen. Denn „Heartlake City“ ist genauso süßlich-kitschig, wie der Name vermuten lässt. Es ist die Welt der fünf Freundinnen Mia, Emma, Stephanie, Andrea und Olivia. Eine Welt, in der die Farben pink und rosa dominieren. Die fünf Mädchen pflegen sich im Schönheitssalon, sitzen im Café, räkeln sich unter kleinen Sonnenschirmen am Pool oder kümmern sich um Haustiere. Sicher, es gibt noch Olivia, die eine Werkstatt hat und sich für Mathe interessiert. Eine Quotenfrau aus der Männerwelt sozusagen.
Seit Anfang März ist Legos neue Produktlinie „Friends“ auch in Deutschland auf dem Markt. Die Zielgruppe: Mädchen zwischen fünf und acht Jahren. Um herauszufinden, was diese Mädchen wollen, hat sich die Spielzeugfirma vier Jahre lang Zeit gelassen. „Wir haben das Konzept zusammen mit Müttern und Töchtern entwickelt“, sagt Lego-Sprecherin Helena Seppelfricke. „Es geht genau auf die Bedürfnisse der Mädchen ein.“ Diese wollten zwar bauen, aber auch schnell ins Rollenspiel einsteigen. Außerdem liebten sie kleine Accessoires wie Blumen und Schleifchen. Von denen gibt es bei „Friends“ reichlich. Sie können wahlweise den Mädchen oder dem Schoßhündchen ins Haar gesteckt werden.
„Wie bei Barbie – nur noch schlimmer“
Zudem hätten sich die Mädchen realistische Spielfiguren gewünscht. Damit können sie sich noch besser identifizieren, sagt Seppelfricke. Deshalb sind Mia und ihre Freundinnen gewachsen, haben Rundungen bekommen, lange Haare, kurze Röcke und große, geschminkte Kulleraugen.
„Eigentlich ist alles so wie bei Barbie – nur noch schlimmer“, sagt Leonie Herwartz-Emden, Pädagogik-Professorin an der Universität Augsburg und Expertin für geschlechtsspezifische Entwicklung in der Kindheit. „Barbie huldigt zwar dem Körperkult, doch sie hat wenigstens auch männliche Berufe wie Rennfahrer oder Astronaut.“ Die Friends-Linie bediene dagegen fast ausschließlich gängige Rollenklischees. „Solches Spielzeug ist nicht mehr zeitgemäß“, klagt Herwartz-Emden.
„Lego Friends ist ein Verbrechen an den Mädchen“
„Diese rosa-betonte Mädchenwelt ist furchtbar“, findet auch Maria Anna Kreienbaum, Didaktik-Professorin an der Universität Wuppertal mit dem Forschungsschwerpunkt Geschlechterverhältnisse. Es sei bedauerlich, dass ausgerechnet dieses pädagogisch sonst so sinnvolle Spielzeug Mädchen und Jungen auf so massive Weise trenne. Die Botschaft sei klar: „Die Friends-Welt dreht sich nicht um die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Sie reduziert die Mädchen auf Schönheit und soziale Kontakte“, sagt Kreienbaum. „Das ist ein Verbrechen an den Kindern.“
Doch Lego folgt mit seiner Trennung zwischen Mädchen und Jungen-Welten einem Trend, den Pädagogen schon seit längerem beobachten, nicht nur beim Spielzeug sondern auch in Kinderbüchern. Während die Emanzipation im Alltag zwar nicht auf dem Gehaltscheck, aber zumindest im Kanzleramt angekommen ist, zielen viele Spielzeuge nur auf ein Geschlecht ab. „Diese rosa Welle hat vor etwa zehn Jahren begonnen“, sagt Kreienbaum. Seitdem hätten sich die Spielwelten von Mädchen und Jungen immer weiter voneinander entfernt.
Schönheit für Mädchen heute deutlich wichtiger
Doch auch das Selbstbild von Mädchen und Jungen driftet auseinander, wie Pädagogik-Professorin Renate Valtin in einer Langzeitstudie belegt. Kinder im Grundschulalter sollten beschreiben, warum sie gerne ein Mädchen bzw. ein Junge sind. Das Ergebnis: Der Faktor Schönheit ist für die Mädchen heute deutlich wichtiger geworden als noch vor 30 Jahren. Viele schreiben: Ich bin gerne ein Mädchen, weil ich lange Haare habe, weil ich mich schminken kann oder weil ich schöne Sachen anziehen kann. „Die Erwartung, dass sich die Einstellungen in Richtung Gleichheit geändert hätten, hat sich nicht erfüllt. Bedenklich vor allem ist, dass bei Mädchen die Attraktivität einen erheblich größeren Raum einnimmt“, resümiert Valtin.
Doch welche Rolle spielt das Spielzeug? „Kinder brauchen Vorbilder jenseits der Rollenklischees“, sagt Herwartz-Emden. „Dabei ist ganz entscheidend, was ihnen Mutter und Vater vorleben.“ Steht der Papa auch mal backend in der Küche oder Mama mit beiden Beinen fest im Beruf, hat das Spielzeug demnach wenig Einfluss. „Verstärkend wirkt es nur dann, wenn auch die häuslichen Vorbilder alte Rollenmodelle verkörpern.“ Einen großen Einfluss schreibt Geschlechter-Forscherin Kreienbaum auch den Medien zu, allen voran Sendungen wie „Germany’s next Topmodel“.
Bei Lego „Friends“ ist die Grenz-Überschreitung zwischen Mädchen- und Jungenwelt dagegen ganz einfach. „Alle Teile sind komplett kompatibel mit allen anderen Lego-Elementen“, verspricht der Spielzeughersteller. Mia, Emma und Olivia können also mühelos eine Zeitreise auf die Ritterburg unternehmen oder im Raumschiff-Cockpit sitzen. Dann kommen ihre männlichen Pendants vielleicht auch einmal im Schönheitssalon oder Welpen-Häuschen vorbei. Der Fantasie der Kinder jedenfalls sind keine Grenzen gesetzt.