Toulouse. Der mutmaßliche Serienmörder Mohamed Merah (23) lieferte sich nach 32-stündiger Belagerung ein Feuergefecht mit der Elitepolizei. Am Ende starb er so, wie er es angekündigt hatte: mit der Waffe in der Hand.
Der Nervenkrieg im Toulouser Wohnviertel Côte Pavée geht an diesem Donnerstagmorgen in die 33. Stunde. Schon seit über zwölf Stunden besteht keinerlei Kontakt mehr zwischen den Verhandlungsführern und dem mutmaßlichen Serienmörder. Lebt der Mohamed Merah (23) überhaupt noch? Hat er sein verpfuschtes Leben angesichts der ausweglosen Situation vielleicht schon beendet? Französische TV-Sender nähren jedenfalls solche Spekulationen. Oder verschanzt sich der kaltblütige Waffennarr noch immer in seiner Parterrewohnung in der Rue du Sergent-Vigné, Nummer 17?
"Er ist schwer bewaffnet aus dem Badezimmer gestürzt"
Um kurz vor elf ist Schluss mit der Zermürbungstaktik, auf die die Männer der Spezialeinheit nach dem gescheiterten ersten Zugriff am Mittwochmorgen um 3.10 Uhr so lange gesetzt haben. Merah sollte unbedingt lebend gefasst werden. Doch jetzt entschließen sie sich zum zweiten Zugriff. Zuerst zünden die Polizisten der Eliteeinheit "Raid" Blendgranaten und Schallbomben, dann dringen sie vorsichtig in die Wohnung ein. Die einen über den Balkon, die anderen durch die Eingangstür. Zentimeter für Zentimeter inspizieren sie jedes einzelne Zimmer. Bis sie vor der verschlossenen Badezimmertür stehen. Dann, es ist inzwischen 11.25 Uhr, überschlagen sich die Ereignisse.
"Er ist schwer bewaffnet aus dem Badezimmer gestürzt und hat begonnen, auf die Polizisten zu schießen", berichtet Innenminister Claude Guéant später. Der Nervenkrieg verwandelt sich in einen richtigen Krieg - es ist "High Noon" in Toulouse. Fünf endlose Minuten lang peitschen Maschinengewehrsalven durch das Wohnviertel. Zwei Polizisten werden verletzt. Das Kommando, an lebensgefährliche Einsätze gewöhnt, sei überrascht gewesen von diesem unerwarteten Gewaltausbruch des 23-Jährigen. Vor allem die die verheerende Kraft seiner Feuerstöße habe erstaunt. Über 300 Patronen werden bei dem Schusswechsel verschossen. Eine Kugel muss Mohamed Merah tödlich verletzt haben. Zwar habe er es noch geschafft vom Balkon zu springen, doch er kommt nicht weit. Guéant: "Er wurde tot auf dem Boden gefunden." Makaber: In der Hand hielt er noch seine Waffe - exakt jenes Todes-Szenario, das er Stunden zuvor in den Telefonaten prophezeit hatte.
Toulouse und Montauban in Angst und Schrecken versetzt
Anderthalb Wochen lang hatte der Franzose algerischer Abstammung die beschauliche Region zwischen der südfranzösischen Provinzhauptstadt Toulouse und der Garnisonsstadt Montauban in Angst und Schrecken versetzt. Bei drei heimtückischen Anschlägen tötete er sieben Menschen, darunter jüdische Schüler und Fallschirmjäger. Das angebliche Motiv des selbsternannten "Gotteskriegers": Rache nehmen für die im Gazastreifen getöteten palästinensischen Kinder, Vergeltung üben für den Afghanistan-Einsatz der französischen Armee.
Nicolas Sarkozy warnt am frühen Nachmittag im Elysée-Palast inständig vor einer Welle des Zorns, die sich nun gegen "unsere islamischen Landsleute" richten könnte. "Sie haben mit diesem terroristischen Wahnsinn gar nichts zu tun", betont der Staatschef. Trotzdem wirft das Blutbad des "Motorroller-Killers" viele quälende Fragen auf. Die meisten Franzosen schauen nun fassungslos in das Gesicht Mohamed Merahs. Privatfotos zeigen einen fröhlichen jungen Mann, den Freunde und Nachbarn als "freundlich und höflich" schildern. Doch hinter diesem anscheinend unverdächtigen Äußeren verbirgt sich nicht nur ein notorischer Kleinkrimineller mit reichlich Knasterfahrung, sondern auch ein islamistischer Killer, der offenbar noch weitere Mordanschläge auf Soldaten und Polizisten geplant hatte. Der Inlandsgeheimdienst hatte Merah zwar im Visier. Doch man hielt ihn für einen Ganoven, wie es sie im Einwanderermilieu etliche gibt. Dass er eine monströse Mordserie plante, will hingegen niemand geahnt haben.
Frankreich ist erleichtert, weil dieses Verbrechen, eines der schrecklichsten in der Geschichte der Nation, weitgehend und sogar relativ zügig aufgeklärt worden ist. Außerdem spricht viel dafür, dass Mohamed Merah ein Einzeltäter war und kein Rädchen im Getriebe einer Terrorzelle. Doch viele Franzosen stellen sich nun die bange Frage, wie viele junge Männer aus den tristen Vorstädten sich in afghanisch-pakistanischen Terrorcamps wohl schon zu gefährlichen "Gotteskriegern" haben ausbilden lassen. Oder bald losfahren.
Polizeieinsatz in Toulouse