Toulouse. Die französische Polizei hat den mutmaßlichen Attentäter in die Enge getrieben. Das Haus, in dem er sich verschanzt, wurde von einer Spezialeinheit umstellt. Die Polizei bereitet sich auf eine Stürmung vor. Berichte, wonach der Mann schon festgenommen sei, wurden dementiert.
Zwei Tage nach dem tödlichen Angriff auf eine jüdische Schule hat die Polizei im südfranzösischen Toulouse den mutmaßlichen Serien-Attentäter aufgespürt. Die Beamten umstellten in der Nacht zum Mittwoch das Haus des 23-Jährigen, der angab, zum Terrornetzwerk Al-Kaida zu gehören. Der Geheimdienst beobachte den Mann, der mehrmals in Afghanistan war, schon seit Jahren, sagte Innenminister Claude Guéant.
Die französische Polizei bereitet sich auf die Stürmung des Hauses vor. Cedric Delage, der Regionalsekretär einer Polizeigewerkschaft, erklärte gegen Mittag, der Verdächtige habe zugesagt, sich bis 14.30 Uhr zu ergeben. Wenn das nicht geschehe, werde die Polizei mit Gewalt in das Haus eindringen und versuchen, den Mann festzunehmen.
Hunderte Polizisten haben das Haus umstellt. Sie verhandeln seit Stunden mit dem mutmaßlichen Täter. Einen Fernsehbericht, wonach der Täter bereits festgenommen sei, dementierte das Innenministerium in Paris.
Täter wollte am Mittwoch erneut zuschlagen
Der mutmaßliche Serien-Attentäter wollte am Mittwoch erneut zuschlagen. Aus Ermittlerkreisen verlautete, dass der Mann einen weiteren Soldaten im Visier hatte. Die Vorsitzende des Rates jüdischer Einrichtungen in der Region, Nicole Yardeni, sagte nach einem Gespräch mit Präsident Nicolas Sarkozy, der Staatschef habe von einer weiteren geplanten Gewalttat am Mittwochmorgen gesprochen. "Er hatte vor, an diesem Morgen zu töten", schilderte Yardeni ihre Informationen zu den Plänen des Attentäters, ohne weitere Einzelheiten zu nennen.
Die Polizei hatte den Mann in der Nacht ausfindig gemacht und belagert seither das Haus, in dem sich der 23-Jährige Mohammed M. verschanzt hält. Der algerischstämmige Franzose soll in den vergangenen Tagen im Großraum Toulouse sieben Menschen getötet haben. Sarkozy traf sich am Nachmittag in einer Kaserne in der Nähe mit Vertretern der jüdischen und muslimischen Gemeinden von Toulouse und fuhr dann ohne Kommentar zur Trauerfeier für die ersten drei Opfer des Täters nach Montauban weiter. Dabei handelt es sich um drei Fallschirmjäger einer Einheit, die häufig in Afghanistan im Einsatz ist.
Mutmaßlicher Todesschütze soll bereits wegen Bombenanschlägen im Gefängnis gesessen haben
Der mutmaßliche Todesschütze von Toulouse hat nach Angaben der afghanischen Behörden bereits wegen Bombenanschlägen im Gefängnis gesessen. Wie der Chef der Haftanstalt in Kandahar, Ghulam Faruk, am Mittwoch sagte, entkam der heute 24-jährige Mohamed Merah aber im Juni 2008 bei einem Massenausbruch. Damals sprengten Kämpfer der radikalislamischen Taliban das Tor der Anstalt und befreiten bis zu 1000 Häftlinge. Faruk zufolge wurde Merah am 19. Dezember 2007 festgenommen und zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er Bomben legte.
Der algerischstämmige Mohammed M. tötete wahrscheinlich in den vergangenen Tagen im Großraum Toulouse sieben Menschen, unter ihnen drei jüdische Kinder. Er entkam nach seinen Angriffen, die er am helllichten Tage und auf offener Straße verübte, mit einem Motorroller. Der Roller und ein Mail-Wechsel mit seinem ersten Opfer, einem Fallschirmjäger nordafrikanischer Abstammung, brachten die Polizei auf die Spur des 23-Jährigen.
Schusswechsel in der Nacht - zwei verletzte Polizisten
Gegen drei Uhr nachts umstellte eine Eliteeinheit das vierstöckige Haus im Osten von Toulouse, wo der Mann wohnt. Der schwer bewaffnete Mohammed M. schoss durch die Tür auf die Polizisten und verletzte zwei von ihnen leicht. Danach verhandelte er stundenlang durch die Tür mit den Beamten und kündigte an, dass er sich am Nachmittag ergeben wolle.
Der 23-Jährige gab als Grund für seine Bluttaten an, er habe "palästinensische Kinder rächen" und die französische Armee angreifen wollen. Er reiste in der Vergangenheit mehrfach in das pakistanisch-afghanische Grenzgebiet, das als Hochburg von Al-Kaida gilt, und wurde nach Angaben aus Ermittlerkreisen schon einmal im südafghanischen Kandahar festgenommen.
Mutmaßlicher Serientäter stand schon lange im Visier des Geheimdienstes
Auch in Frankreich beging der Mann laut Guéant mehrere Straftaten und war als radikaler Muslim im Visier des Inlandsgeheimdienstes. Dabei seien aber keine Anzeichen entdeckt worden, dass der 23-Jährige ein Gewaltverbrechen plane. Der mutmaßliche Serien-Attentäter hatte am 11. März zum ersten Mal zugeschlagen: Er erschoss in Toulouse auf offener Straße einen Fallschirmjäger in Zivil. Wenige Tage später tötete der Mann in Montauban, 50 Kilometer von Toulouse entfernt, zwei weitere Fallschirmjäger.
Der Angriff, der die Franzosen jedoch am meisten schockierte, ereignete sich am Montag: Vor Unterrichtsbeginn fuhr der Täter vor eine jüdische Schule in Toulouse und erschoss dort drei Kinder und einen Religionslehrer. Die Beisetzung der vier jüdischen Opfer begann am Mittwoch in Jerusalem. Auf dem Friedhof Har Hamenouhot versammelten sich rund 2000 Trauernde zum letzten Geleit für die beiden vier und fünf Jahre alten Jungen, ihren Vater und ein siebenjähriges Mädchen. Auch der französische Außenminister Alain Juppé nahm an der Zeremonie teil.
Der Rektor der Moschee von Paris, Dalil Boubakeur, warnte davor, die Angriffe von Toulouse mit dem Islam zu vermischen: "Man darf die zu 99,9 Prozent friedliche muslimische Religion nicht mit der kleinen Gruppe von Leuten verwechseln, die entschlossen sind, eine Bluttat zu verüben."
Brisanter Zeitpunkt im Präsidentschaftswahlkampf
Sarkozy rief die Bürger auf, angesichts der Tat zusammenzustehen. "Wir dürfen uns weder zur Diskriminierung noch zur Rache verleiten lassen." Er habe sich mit Vertretern der jüdischen und muslimischen Gemeinden getroffen, um zu zeigen, dass sich das Land nicht durch Terrorismus spalten lasse.
Die Anschläge wurden mitten im Präsidentenwahlkampf verübt und dürften dessen weiteren Verlauf bestimmen. Der in Umfragen hinter seinem sozialistischen Herausforderer Francois Hollande liegende Konservative Sarkozy hat versucht, mit den Themen Zuwanderung und Fundamentalismus zu punkten und damit der Rechtsextremistin Marine Le Pen Wähler abzujagen. Zwischen Sarkozy und Hollande ist vor allem der französische Afghanistan-Einsatz strittig. Der Sozialist will ihn dieses Jahr, Sarkozy 2013 beenden. Le Pen hat zum Krieg gegen den Fundamentalismus aufgerufen.
Explosion in indonesischer Botschaft
Vor der indonesischen Botschaft in Paris ist am Mittwoch eine Bombe explodiert und hat das Gebäude beschädigt. Mehrere Fensterscheiben seien durch den Sprengsatz zu Bruch gegangen, teilte die indonesische Regierung mit. Nach Angaben aus französischen Polizeikreisen wurde das Paket von einem Botschaftsangestellten entdeckt. Kurz darauf sei die Bombe explodiert und habe dabei auch Autos beschädigt. Verletzte gab es nicht.
Der indonesische Außenminister Marty Natalegawa sagte, es sei unklar, ob die Vertretung des Landes Ziel des Anschlages gewesen sei oder es sich nur um einen Zufall gehandelt habe. Die diplomatische Vertretung war 2004 Ziel eines Anschlages. Damals bekannte sich niemand zu der Tat.