Paris. Entführt, vergewaltigt und verprügelt: Mit 17 Jahren geriet Zahia Hameurlaine in die Fänge eines Sexualverbrechers. 37 Jahre lang konnte sie sich an nichts erinnern. Doch dann geschieht ein medizinisches Wunder.
„Infolge eines Sturzes von einem Lastwagen in der Rue de La Fontaine wurde ein junges Mädchen, Mademoiselle Zahia Hameurlaine, gestern Nachmittag am Kopf verletzt.“ Ein einzelner Satz bloß in der Lyoner Lokalzeitung vom 14. November 1973. Doch dahinter verbirgt sich eine kleine medizinische Sensation.
Die Lyonerin leidet in den 37 Jahren nach dem „Unfall“ an Gedächtnisverlust. Im August 2010, als sie nach einer Operation aus der Narkose aufwacht, passiert ein kleines Wunder: Plötzlich erkennt sie den Lastwagen, die Werkstatt und ganz deutlich den Peiniger, der ihr fürchterliche Hiebe mit der Eisenstange verpasst. Vor wenigen Tagen hat Zahia Hameurlaine, heute 56 Jahre alt, Anzeige erstattet: wegen versuchten Mordes, Entführung und Vergewaltigung.
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Rückblende: Als die Schwerverletzte vier Tage nach der Tat im Krankenhaus aus dem Koma erwacht, sieht sie ihren bis dahin unversehrten Körper mit Blutergüssen und Schwellungen übersät. Am schlimmsten hat es ihren Kopf getroffen. Die Wucht der Schläge haben das Felsenbein, den härtesten Knochen des Schädels, zertrümmert. Neun Monate später, noch immer ans Krankenbett gefesselt, liegt die junge Frau in den Wehen – und schenkt auf für sie unerklärliche Weise einem Jungen das Leben.
Womöglich hätte ihre Mutter das Geheimnis lüften können. Doch sie ist Muslimin und sieht in ihrer Tochter offenbar ein gestolpertes Mädchen. Als sich Zahia später erkundigt, woher diese seltsamen Narben am Schädel stammen, tischt die inzwischen verstorbene Mutter ihr barsch einen Schwindel auf: „Ein Unfall mit der Schaukel.“
Die Schläge mit der Eisenstange haben Zahias Gesicht derart entstellt, dass sie im Laufe von mehr als drei Jahrzehnten zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen muss. Bei der elften im August 2010 kommt die Erinnerung plötzlich zurück. Ein medizinisches Phänomen für Professor Daniel Malicier, den Direktor der Lyoner Gerichtsmedizin.
Detektiv beauftragt
Die Medizin kennt Fälle, in denen Menschen, die an einem post-traumatischen Gedächtnisverlust leiden, die Erinnerung wiederfinden. Andernfalls wäre Zahia eine Simulantin. Doch diese Version schließt Professor Malicier aus, er hält die Frau für glaubwürdig.
Schlagartig befreit nach 37 eingekapselten Jahren, lässt Zahia Hameurlaine nicht mehr locker. Sie recherchiert in den Krankenhausakten von 1973, stöbert im Zeitungsarchiv und beauftragt einen Detektiv, der wichtige Zeugen aufspürt.
Immer klarer zeichnen sich jetzt die Umrisse einer heimtückischen Beziehungstat ab. Zahia Hameurlaine arbeitet 1973 bei einem Automobilzulieferer in Lyon. Und erinnert sich heute an jene verhängnisvolle Mittagspause des 13. November. Sie sieht diesen Mann, ihren Peiniger, vor sich stehen, „an der roten Ampel, neben dem Lastwagen“.
Der Mann entführte sie
Derselbe Mann, der Monate zuvor mit seinen Eltern um Zahias Hand angehalten hat. „Meine Mutter hatte es abgelehnt, ich auch“, erinnert sie sich. Dann geht alles schnell. Der Mann entführt Zahia, verschleppt sie in eine Werkstatt und traktiert sie solange mit der Eisenstange, bis sie in ein tagelanges Koma verfällt.
Rechtsanwalt Jean Sannier aus Lyon ist zuversichtlich, dass der Fall gelöst werden kann. „Wir kennen den Namen des mutmaßlichen Täters, der in Lyon lebt“, sagt Sannier. Und fügt optimistisch hinzu: „Jetzt ist die Kripo am Zuge.“