Washington. . 300 Anwälte. 540 Einzelklagen. 120 000 Kläger. Am Montag beginnt in New Orleans, US-Staat Louisiana, ein Mammutverfahren, um die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko aufzuarbeiten.

Zwei Jahre nach der bislang größten Öl-Katastrophe weltweit beginnen am Montag um 8 Uhr Ortszeit im Bezirksgericht von New Orleans die juristischen Aufräumarbeiten. Bei dem Brand der Öl-Plattform „Deep Water Horizon“ vor der Mississippi-Mündung liefen zwischen April und August 2010 fast 800 Millionen Liter Rohöl in den Golf von Mexiko. Rund 900 Kilometer Küste in Florida, Louisiana, Alabama und Mississippi waren zum Teil stark verunreinigt.

Zehntausende Vögel und Meerestiere starben. Tausende Fischer, Krabbenzüchter, Gastronomen und Hoteliers verloren ihre Existenzgrundlagen. Richter Charles Barbier hat es in dem beispiellosen Mammut-Verfahren, das sich über mehrere Jahre hinziehen kann, mit über 300 Anwälten, rund 540 Einzelklagen und 120 000 Klägern zu tun. Ein Leitfaden:

Wer steht vor Gericht?

Neben den Öl-Konzernen BP (65 %), Moex (10 %) und Andarko (25 %) müssen sich die Unternehmen Transocean als Betreiber der Plattform und Halliburton, zuständig für die 85 Tage lang gescheiterten Abdichtungsarbeiten am Bohrloch, verantworten. Im Kern wird ihnen von der Bundesregierung in Washington, von mehreren Bundesstaaten sowie etlichen Kommunen vorgehalten, aus Gewinnsucht haarsträubende Risiken eingegangen zu sein. Daneben bekriegen sich die beteiligten Unternehmen untereinander. Allein für die Eröffnungsreden der Streitparteien sind heute sieben Stunden vorgesehen.

Wie läuft der Prozess ab?

Richter Charles Barbier, mit maritimen Streitfällen vertraut, will bis Frühsommer das Unglück aufrollen und die daran beteiligten Verantwortlichen identifizieren. Danach folgt die Aufarbeitung des lange gescheiterten Versuchs, das Öl-Leck zu schließen. Zum Abschluss werden die entstandenen Schäden für Umwelt und Menschen bilanziert. Geschätzte Prozessdauer: vier Jahre. Es sei denn, laufende Vergleichsverfahren verkürzen die Sache.

Wie geht es BP?

Irritierend gut. Im vergangenen Jahr lag der Gewinn des britischen Öl-Multis bereits wieder bei knapp 18 Milliarden Euro. 2010 wurden noch fünf Milliarden Verlust gemacht. Um die Katastrophe zu bewältigen, hat BP über 40 Milliarden Dollar Rückstellungen gebildet. Fraglich, ob das ausreicht. Das zentrale amerikanische Gesetz, der so genannte „Clean Water Act“, sieht 1100 Dollar Schadenersatz vor für ein Barrel (159 Liter) ausgelaufenen Öls. Bei erwiesener Fahrlässigkeit steigt die Strafe auf 4300 Dollar. Allein für die Gewässerverschmutzung werden also 3,5 Milliarden bis 18 Milliarden Dollar fällig.

Hat BP bisher schon gezahlt?

Ja. Cirka sechs Milliarden Euro für Entschädigungen und akute Schadensbeseitigung. Daneben hat der Konzern auf Drängen der Obama-Regierung 20 Milliarden Dollar in einen Fond eingezahlt, aus dem bisher rund 200 000 Geschädigte mit Summen zwischen 5000 und 500 000 Dollar abgefunden wurden. Mit der Einrichtung des Fonds wollte BP katastrophale Fehler in der Öffentlichkeitsarbeit wettmachen. Tony Hayward, inzwischen geschasster BP-Chef, spielte kurz nach der Katastrophe die Folgen für die Umwelt herunter und fuhr, während das Bohrloch noch sprudelte, in den Segelurlaub.

Wie geht es der Umwelt?

Durch die Katastrophe starben Tausende Fische, Pelikane, Schildkröten. Wer heute die Küste um New Orleans abfährt, sieht viele weiße Strände. Die so genannten „Oilpicker“, mit bis zu 30 Dollar die Stunde bezahlter Hilfsarbeiter, die für BP angeschwemmte Teerklumpen einsammelten, sind verschwunden. Die Tourismusbüros verkünden steigende Besucherzahlen. Die Küstenwache hat die Aufräumarbeiten fast überall für erledigt erklärt.

Wo liegt der Haken?

Klingt seltsam: Aber keiner weiß verlässlich, wo die 800 Millionen Liter Öl geblieben sind. Eine Lesart besagt, die Selbstheilungskräfte der Natur seien mächtiger als angenommen – was bedeutete, dass Bakterien das Gros des Öls zersetzt haben könnten. Die gegenläufige, inzwischen von weit mehr Wissenschaftlern gestützte These lautet, dass größere Öl-Mengen nach wie vor vorhanden sind. Entweder als ein den Meeresboden versiegelnder Schlieren-Belag.

Oder, wie Forscher der Universität von Georgia bei Tauchfahrten herausfanden, in Gestalt von bis zu 20 Kilometer langen und acht Kilometer breiten Ölschwaden, „plumes“ genannt, die wie Wolken auch in größeren Wassertiefen hängen. In beiden Fällen gilt der Befund, dass giftige Öl-Moleküle nach und nach in die Nahrungskette gelangen können. Nicht ohne Grund begegnet der US-Käufer Shrimps und Fisch von der Golfküste nach Angaben von Verbraucherschützern mit „großer Skepsis“.

Wie sieht der Vergleich zu früheren Öl-Katastrophen aus?

Deep Water Horizon sprengt alle bisherigen Dimensionen. Nachdem 1989 in Alaska der Tanker „Exxon Valdez“ auslief und 2000 Kilometer Küste in Öl ertranken, kam der US-Konzern ExxonMobil nach 20-jährigem Gerichtsstreit mit Kosten von rund 4,5 Milliarden Dollar davon. Diesmal geht es um mehr als das 20-fache.