Lille. . Begleitet von dutzenden Fotografen und Kameraleuten ist der frühere IWF-Chef Strauss-Kahn am Dienstag im französischen Lille von der Polizei vernommen worden. Es geht um Sex-Partys und um den Verdacht seiner Verstrickung in einen Zuhälter-Ring.

Die Vernehmung im Kommissariat von Lille zur Callgirl-Affäre beginnt an diesem Dienstag um neun Uhr. Dutzende Fotografen und Kameraleute haben sich vor dem renovierten Backsteingebäude aufgebaut, um ein Bild von Dominique Strauss-Kahn schießen zu können. Doch "DSK" bleibt hinter den verdunkelten Scheiben der Peugeot-Limousine unsichtbar.

Frankreich ist eben nicht Amerika. Zur Erinnerung: Als die New Yorker Polizei den mächtigen Chef des Weltwährungsfonds (IWF) im vergangenen Mai wegen des Verdachts der versuchten Vergewaltigung im "Sofitel" festnahm, schleppte sie den ermüdeten, unrasierten Häftling in aller Öffentlichkeit in Handschellen vor den Staatsanwalt. Eine demütigende und umstrittene Prozedur, die dem französischen Polizeiwesen völlig fremd ist.

Ob Strauss-Kahn in der so genannten "Carlton-Affäre" von Lille nur Zeuge oder am Ende sogar Beschuldigter sein wird, muss die Vernehmung erst noch erbringen. Dafür wurde Strauss-Kahn in Polizeigewahrsam genommen. Es geht um Dutzende Sex-Partys mit Prostituierten in Paris, Brüssel und Washington, bei denen der 62-Jährige der prominenteste Gast war. Vor allem geht's um die delikate Frage, ob er gewusst hat, dass sich die Frauen ihre sexuellen Dienste haben bezahlen lassen und ob er sogar an der Party-Vorbereitung tatkräftig mitgewirkt hat. In diesem Fall drohen dem Beinahe-Präsidentschaftskandidaten Anklagen wegen organisierter Zuhälterei und Veruntreuung von Firmengeldern - im äußersten Fall sieben Jahre Haft und ein Strafbefehl über 375.000 Euro.

Strauss-Kahn will nichts illegales getan haben

DSK sieht sich jedoch völlig zu Unrecht an den Pranger gestellt. "Niemals habe ich etwas Illegales getan. Zuhälterei, Prostitution - das verachte ich", gibt er im Oktober dem Buchautor Michel Taubmann ("Die Affären DSK") zu Protokoll. Nun, dass er an Sex-Orgien teilgenommen hat, bestreitet DSK keinesfalls. Doch für gewöhnlich, so betont er, handele es sich bei den Teilnehmerinnen dieser freizügigen Abende, die im Französischen "Parties fines" heißen, nicht um Prostituierte. Und rechtfertigend fügt er hinzu: "Wenn jemand Ihnen seine Freundin vorstellt, dann fragen Sie ihn doch nicht, ob sie eine Prostituierte ist."

Die Prostituierte Florence V. will den früheren Polit-Star nach Angaben der Zeitung "Le Monde" etwa zehn Mal auf besagten Sex-Partys getroffen habe. Den Lohn habe es stets in bar gegeben: 500 bis 1000 Euro im Briefumschlag. Die extravaganten Schauplätze wechselten. Mal traf man sich im "Carlton" in Lille, mal im schicken "Murano" in Paris, mal im exklusiven Hotel "W" nahe dem "Weißen Haus" in Washington.

Fest steht wohl, dass der Unternehmer Fabrice Paszkowski, ein guter DSK-Freund, die lustvollen Abende organisiert und die Dutzend Frauen bezahlt hat. Aber auch eine Firma des Bauimperiums Eiffage, das auf staatliche Aufträge spezialisiert ist, soll die Sex-Partys mitfinanziert haben - offenbar in der leicht zu durchschauenden Absicht, "Landschaftspflege" zu betreiben. Die hohen Ausgaben für die Sex-Partys hätten sich schnell rentieren können, sobald DSK Hausherr im Elysée geworden wäre.

Erst toleriert, jetzt missbilligt

Dass es Dominique Strauss-Kahn mit der ehelichen Treue niemals sonderlich ernst nahm, wusste "Tout Paris". Ob als Finanzminister oder IWF-Chef - DSK galt schon immer als notorischer Schürzenjäger, der trotz seiner Bekanntheit sogar in den einschlägig bekannten Swinger-Klubs der Hauptstadt auftauchte. Ein Zug, der im toleranten Paris lange milde, ja verständnisvoll belächelt wurde. Doch nun zeichnen sie ein ganz anderes, unvorteilhaftes Bild von DSK: das eines skrupellosen Mannes, der seinen Geschlechtstrieb nicht unter Kontrolle hat und offenbar dazu neigt, Frauen mit brutalen Praktiken zu Sex-Objekten zu degradieren.

Gegen acht zum Teil namhafte Persönlichkeiten der feinen Liller Gesellschaft wird in der "Carlton"-Affäre ermittelt - darunter befinden sich ein Rechtsanwalt, ein Kriminalkommissar, der Presse-Chef des Hotels sowie die Bauunternehmer. Die meisten Callgirls für die Sex-Partys rekrutierten sie aus dem belgisch-nordfranzösischen Bordell-Imperium des Rotlicht-Königs "Dodo la Saumure". Mehrere Male jetteten sie - die Huren, der Kommissar und der Baulöwe - über den Atlantik, um den "einsamen" IWF-Chef in den USA zu verwöhnen. Die offenbar letzte Sex-Party datiert vom 11. Mai - nur zwei Tage vor Strauss-Kahns spektakulärer Verhaftung in New York.