An Rhein und Ruhr. 92 Übergriffe auf Obdachlose hat das NRW-Innenministerium fürs Jahr 2010 verzeichnet - die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Immer wieder gibt es brutale Attacken, und die Opfer sind ihren Angreifern oft schutzlos ausgeliefert. Ein Besuch auf Duisburgs Straßen.
Nachts ist es am schlimmsten. Jeder Schatten macht Angst, jedes Geräusch lässt aufhorchen. Manchmal ist es nur ein Tier, das durchs Gebüsch schleicht, manchmal sind es aber auch Diebe, Schläger, Typen, die Langeweile oder großen Hass in sich haben. Und deshalb ihren Baseballschläger hervorholen und auf den Obdachlosen, der nur seinen Schlaf will, einschlagen. Peter hat es an den Knien erwischt. Langzeitschäden trug er Gott sei dank nicht davon. Jahrelang hat er auf Duisburgs Straßen gelebt. Immer mit der Angst, dass etwas passieren kann.
Irgendwann war es so weit. Zwei Jahre lang hat Peter am Hauptbahnhof in Duisburg „auf Platte“ gelebt, wie er sagt. Eines Nachts stieg ihm Rauch in die Nase. Jemand hatte ganz in seiner Nähe Benzin ausgeschüttet und in Flammen gesetzt. „Da wollte mich einer anzünden“, sagt Peter noch heute entsetzt. Schnell nahm er seine sieben Sachen und verschwand. „Ich hatte eine schwere Rauchvergiftung“, vermutet er. Ein Arzt konnte ihm das nicht bestätigen – weil er nicht zum Arzt gegangen ist. Und auch die Polizei hat er nicht gerufen. „Ich bin nur abgehauen. Hinterher meinen die noch, ich hätte etwas damit zu tun.“
Warme Mahlzeit
92 Fälle erfasst - die Dunkelziffer dürfte höher sein
So geht es Obdachlosen, die angegriffen werden, oft. Der Polizei gehen sie lieber aus dem Weg. Dementsprechend hoch dürfte die Dunkelziffer der Verbrechen gegen Obdachlose sein, längst nicht alle Straftaten kommen zur Anzeige. 92 Obdachlose wurden nach Angaben des NRW-Innenministeriums im Jahr 2010 Opfer von Straftaten, vor allem in den Großstädten Köln, Bochum, Aachen und Düsseldorf. 79 von ihnen waren Opfer von Körperverletzungen und Gewaltdelikten. Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe – die Statistik stützt sich allein auf Presseberichte – starben im Jahr 2010 sechs Obdachlose in Deutschland durch Täter außerhalb der Wohnungslosenszene. Darunter auch Klaus B. aus Kamp-Lintfort, den vier Jugendliche brutal traktiert haben. Sein Schädel war zertrümmert, aus einer Wunde ist Blut in die Atemwege gelangt. Er ist erstickt.
Besondere Schutzmaßnahmen für Obdachlosen seitens der Polizei gibt es in der Regel nicht, sagt ein Sprecher des NRW-Innenministeriums und verweist auf die Gesamtzahl der Opfer von Gewaltverbrechen und Körperverletzungen in NRW: 150 000. Im Klartext: Obdachlose stellen nur eine vergleichsweise kleine Gruppe dar, die Übergriffen ausgesetzt ist.
Kanu für obdachlosen Otto
"Der Willkür ihrer Peiniger ausgesetzt"
Dieter Metz vom Duisburger Verein „Gemeinsam gegen Kälte“ findet es „ekelhaft zu erleben, wie diese hilflosen Personen der Willkür ihrer Peiniger ausgesetzt sind“. Zusammen mit seinen oft ehrenamtlich engagierten Kollegen fährt er Woche für Woche mit dem Wohnmobil des Vereins durch Duisburg, verteilt Kaffee an Obdachlose, bringt Sandwiches vorbei oder schaut, ob sie noch leben.
Vor einigen Jahren fanden sie Jupp. Blutend. Mit einer kaputten Brille auf der Nase. Jugendliche haben ihm in dem Tunnel, in dem er damals lebte, aufgelauert, haben ihn getreten und mit seinem Kopf gegen die Wand gehauen. „Danach hatte er große Angst“, erinnert sich Dieter Metz. Er und seine Kollegen hatten damals die Polizei verständigt und Jupp eine neue Brille besorgt. Den Tunnel meidet Jupp, jetzt hat er sein Lager in einem Meer aus Plastiktüten, Kartons und Decken auf einem Parkplatz an der Duisburger Uni aufgeschlagen. „Hier bin ich sicher“, sagt er. „Die Studenten tun nix.“
Angst hat er heute keine mehr, auch nicht, wenn er nachts allein einschläft. „Am Besten wäre es, wenn man mit mehreren an einem Platz schlafen würde“, meint indes Peter. So könnten die Wohnungslosen gegenseitig auf sich aufpassen. Das aber ist nicht so einfach. Obdachlose sind Einzelgänger. Zudem gibt es Misstrauen untereinander. „Mir wurde schon mal ein Rucksack geklaut“, erinnert sich Peter. Auch Andreas, der sein Feldbett in der hintersten Ecke einer Garage am Innenhafen aufgeschlagen hat, nimmt niemanden mit her. „Ich habe schon schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt er. Vor fünf Jahren hat jemand seine Ausrüstung - Schlafsäcke und Decken – angezündet. Und er musste mit ansehen, wie seine Freundin verprügelt worden ist. Sie starb. Seitdem kämpft sich Andreas allein durch das Leben auf der Straße.