Essen. . Vielen jungen Mädchen, die zur Heirat gezwungen werden, bleibt am Ende nichts anderes als zu flüchten. Weitaus mehr junge Frauen, so schätzt es die Düsseldorfer Rechtsanwältin Gülsen Celebi ein, sind zu schwach, sich aufzulehnen. „Sie sind zum Ja-Sagen erzogen worden, dazu, im Haushalt zu helfen.“
Arjana wäre wohl nie auf die Idee gekommen, ihre Familie, die Eltern zu verlassen. Sie liebte sie viel zu sehr. Doch dann kam jener Tag, als sie mit ihrem Freund gesehen wurde. Mit ihrem deutschen Freund wohlgemerkt. Und von jetzt auf gleich war alles anders. Sie sei „eine Schlampe“, sie solle sich sofort trennen, beschimpfte sie der Vater und meldete die 16-Jährige von der Gesamtschule ab. Er werde sie jetzt mit einem Mann aus der Heimat verheiraten, aus dem Kosovo, drohte er und hielt seine Tochter fortan zuhause eingesperrt.
Es sollte der Anfang vom Ende sein. „Arjana schaffte es irgendwie, unserer Beratungsstelle eine Mail zu schicken und einen Telefon-Termin zu vereinbaren“, erinnert sich Birgit Hoffmann, die Geschäftsführerin des Mädchenhauses Bielefeld. Man riet ihr, jemanden zur Hilfe zu holen. Jemanden, der in der Familie Respekt genieße. Eine Tante vielleicht, der sie vertraue. Doch selbst Arjanas Geschwister waren sauer auf sie. Wegen des Ärgers, den sie ausgelöst hatte, weil nun alle angehalten waren, auf sie aufzupassen.
„Als klar war, dass es keine Lösung innerhalb der Familie geben würde, mussten wir sie unterbringen. Das Jugendamt wurde informiert, eine Sozialarbeiterin ihrer Schule“, sagt Hoffmann. Arjana, das Mädchen aus einer Großstadt im Ruhrgebiet, bereitet währenddessen seine Flucht vor, kopiert heimlich Zeugnisse, legt den Pass zur Seite. „Nur das Nötigste! Damit es nicht auffällt“, hat man ihr geraten.
Oft werden sie schon mit 16, 17 verheiratet
Arjanas Geschichte ist eine unter Tausenden. Doch eine typische. „Es ist leider so, dass Mädchen aus sehr traditionellen muslimischen Familien oft jung verheiratet werden, schon mit sechzehn, siebzehn“, sagt die Düsseldorfer Rechtsanwältin Gülsen Celebi. Sie vertrat in den letzten Jahren mehr als 100 Mädchen und Frauen, die zwangsverheiratet werden sollten oder sich nach Jahren aus einer solch unglücklichen und oft gewalttätigen Ehe befreien wollten.
Notfalls, so sagt die Anwältin, „unterstütze ich sie auch bei der Flucht“. Sie hilft ihnen, in einem Mädchen- oder Frauenhaus unterzukommen, in einer betreuten Wohngruppe oder eine eigene Wohnung anzumieten, ein selbstbestimmtes Leben zu beginnen. Nicht selten kommen Frauen zu ihr, die sich nach Jahren in einer Zwangsehe scheiden lassen wollen. „Die kommen zu mir, berichten von Gewalt und davon, dass auch ihre Eltern eine Trennung akzeptierten. Es ist ja so, dass die Eltern für ihre Kinder eigentlich etwas Gutes wollen. Sie begreifen aber erst später, dass sie ihren Kindern etwas Schlimmes angetan haben“, sagt Gülsen Celebi.
Arjana, das Mädchen aus dem Ruhrgebiet, hätte eigentlich anonym untergebracht werden müssen, in einer anderen Stadt, weit weg von ihren Eltern. Schließlich hatte der Vater gedroht, ihr etwas anzutun, wenn sie versuchen sollte, abzuhauen. „Leider schätzte das Jugendamt die Gefahr trotz unserer Hinweise nicht richtig ein“, erzählt Birgit Hoffmann vom Mädchenhaus in Bielefeld. Es kam wie es kommen musste. Bei einem Ausflug erkannte Arjana ihren Vater, fürchtete, er könne sie auch gesehen haben und wagte sich danach nicht mehr aus der Einrichtung, in der man sie untergebracht hatte.
Bis heute wird Arjana von Ängsten geplagt, irgendwann doch von ihrer Familie entdeckt, bestraft zu werden. Sie schläft schlecht. Aber sie hat ein neues Leben begonnen. In einer anderen Stadt, einer eigenen Wohnung. Sie geht wieder zur Schule, ist sogar noch mit ihrem deutschen Freund zusammen. Das Jugendamt trägt die Kosten ihrer Unterbringung.
Abgetaucht, weil er die Cousine heiraten soll
Arjana, die Tochter von Flüchtlingen aus dem Kosovo. Eine von vielen, die sich gegen eine Zwangsheirat wehren. Weitaus mehr junge Frauen, so schätzt es auch Gülsen Celebi ein, sind zu schwach, sich aufzulehnen. „Sie sind zum Ja-Sagen erzogen worden, dazu, im Haushalt zu helfen“, sagt Celebi. Und wo Frauen zwangsverheiratet werden, gibt es auch ein männliches Gegenstück. „Gerade aktuell habe ich Kontakt zu einem Neunzehnjährigen, der mit seiner Cousine verheiratet werden soll, obwohl er eine andere Frau liebt. Er ist im Osten des Landes untergetaucht, überlegt, ob er eine Strafanzeige gegen seine Eltern stellen soll oder nicht“, berichtet die Anwältin.
Anders als die jungen Frauen werden die Männer allerdings nicht gezwungen, ihre Ausbildung abzubrechen, sind sie weit weniger Einschränkungen unterworfen. Fluchtorte gibt es nur wenige. In Nordrhein-Westfalen existieren, so Birgit Hoffmann vom Mädchenhaus, exakt fünf Plätze speziell für von Zwangsheirat Bedrohte. Zwei in ihrer Bielefelder Einrichtung, eineinhalb in Hamm und weitere eineinhalb in Bonn bei Jugendhilfeeinrichtungen. Hoffmann: „Es müsste bundesweit Plätze geben, wo die Mädchen schnell und fern von ihren Eltern untertauchen können.“