Washington/Los Angeles. . Im Prozess gegen den Leibarzt des an einer Überdosis des Narkosemittels Propofol gestorbenen Sängers Michael Jackson ist am Freitag das Urteil zu erwarten. Die Plädoyers werden live im Fernsehen übertragen. Zwei Plädoyers werden zwei Versionen über den Tod des „King of Pop“ erzählen.
Sechs Wochen medizinisch-pharmakologisches Pro-Seminar sind vorüber. Am Donnerstag tragen im Prozess gegen den ehemaligen Leibarzt von Pop-Sänger Michael Jackson, Dr. Conrad Murray, Anklage und Verteidigung ihre Plädoyers vor; wie immer live übertragen und kommentiert vom amerikanischen TV-Sender HNL.
Danach liegt die Frage, ob Murray am 25. Juni 2009 den Tod des „King of Pop“ verschuldet hat oder nicht, im Superior Court von Los Angeles in den Händen der Jury. Dem Mediziner, der für seine Tätigkeit für den Star monatlich 150.000 Dollar Honorar erhielt, droht eine Gefängnisstrafe bis zu vier Jahren. Ein Urteilspruch wird für Freitag erwartet.
Zwei Plädoyers - zwei Versionen
Bis dahin werden die Geschworenen zu bilanzieren haben, was nach rund 50 Zeugenaussagen in diesem Verfahren weiter strittig ist: Hat – wie Staatsanwalt David Walgren in seinem beinharten Fragestil herauszuarbeiten versuchte – Murray den seit Wochen mit verschiedenen Medikamenten vollgepumpten Künstler am besagten Tag in seiner Villa oberhalb des Sunset Boulevards mit einer tödlichen Dosis des Narkosemittels Propofol versorgt? Oder hat – wie die beiden Verteidiger Ed Chernoff und Michael Flanagan bis zuletzt mit einiger Filibusterei nahelegten – Jackson in einem unbeobachteten Augenblick aus Verzweiflung über seine chronische Schlaflosigkeit selbst zur Spritze gegriffen und so seinen Tod herbeigeführt?
Letzteres hatte der Star-Zeuge der Verteidigung, der Propofol-Experte Dr. Paul White, anhand von für den Laien schwer nachvollziehbaren medizinisch-technischen Abläufen und Wahrscheinlichkeitsannahmen darzustellen versucht. Pikant: Whites Schüler, Dr. Steven Shafer, ebenfalls ein gefragter Gerichtsgutachter in Fragen der Anästhesie, hatte zuvor das komplette Gegenteil erzählt und Jacksons Leibarzt 17 zum Teil haarsträubende Versäumnisse und Fehlleistungen attestiert.
Gestützt auch auf Aussagen von Rettungssanitätern, Notärzten, Jacksons Hausangestellten, Leibwächtern und Freundinnen Murrays hielt Shafer dem Kardiologen vor, Jackson nach der Injektion von Propofol 40 Minuten lang sträflich aus den Augen gelassen zu haben. Als er den regunglos im Bett liegenden Sänger fand, habe er die Wiederbelebung komplett vergeigt, verdächtige Spuren verwischen wollen, den Notarzt viel zu spät alarmiert und bis zuletzt verheimlicht, dass Propofol überhaupt im Spiel war.
Entlastungszeuge könnte Murray belasten
Hintergrund: Der Stoff wird normalerweise nur in Operationssälen benutzt. Jackson verlangte aber danach, weil er anders seine Schlaflosigkeit nicht in den Griff gekriegt habe, hieß es im Prozess. Über Wochen wurden dem Künstler fast 15 Liter der in Wasser aufgelösten milchigen Flüssigkeit verabreicht – und zwar daheim. In diesem Punkt könnte sich eine Aussage des Entlastungszeugen Dr. White negativ für Murray auswirken. „Ohne sorgfältige Überwachung am Bett des Patienten”, hatte White erst auf hartnäckiges Nachfragen der Anklage eingeräumt, “könnte der Einsatz von Propofol gefährlich werden. Man kann dieses Mittel einsetzen. Ich würde es aber nie bei einem Patienten zu Hause machen.”
Das Fazit der Anklage steht damit fest. Sie wird den Geschworenen zwei separate Theorien unterbreiten, um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung zu untermauern: Entweder Murray hat Propofol verabreicht und seinen Patienten dann in krimineller Weise vernachlässigt. Oder er hat schlicht seine gesetzliche Verpflichtung als Arzt missachtet, Leben zu schützen und im Notfall nach Kräften adequat zu retten. Richter Michael Pastor, der das Verfahren mit jovial-strenger Hand führte, gab den Geschworenen am Dienstag einen wichtigen Hinweis mit auf den Weg: Selbst wenn Jackson sich das Propofol selbst gespritzt haben sollte, kann Dr. Murray verurteilt werden, weil er die Konsequenzen dieses Schritts hätte übersehen müssen.