Kleve. .
Im Dienste der Wissenschaft müssen Kuh Minga und ihre 143 ihrer Kolleginnen für die nächsten zwei Jahre auf grüne Wiesen und frisches Gras verzichten. Im Stall wird gemessen, wieviel Methan sie bei welchem Futter produzieren.
Sie sollen als Klimaforscherinnen Wissenslücken schließen, groß wie die weißen Flecken auf ihrem Fell. Dafür arbeiten sie mit den Experten der Universität Bonn und der Landwirtschaftlichen Versuchsanstalt Haus Riswick in Kleve zusammen.
Vielleicht gelingt Minga in den nächsten zwei Jahren so etwas wie eine Ehrenrettung der Rindviecher, die ein tierisch schlechtes Klima-Image haben: Kuh-Rülpser und Fladen haben Mitschuld am Klimawandel, heißt es. Wie sehr die sanften Riesen mit den braunen Augen tatsächlich die Atmosphäre verändern, ist allerdings umstritten.
Gras? Mag doch kein Schwein
Jedenfalls haben sie mit Rinderexpertin Claudia Verhülsdonk eine Fürsprecherin: 40 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche auf der Welt sind Steppe und Grasland. Was da wächst, interessiert kein Schwein. Auf solchem Terrain werden nur Schafe, Ziegen und Kühe satt: Wiederkäuer, die allerdings Gras und Gas gleichzeitig wieder aus dem Magen würgen, um es erneut zu kauen – und dabei Methan in die Luft entlassen. Ohne Wiederkäuer und deren Dünger jedoch würde aus Graslandschaft in Afrika und Südamerika womöglich Steppe – und das wäre noch schlimmer fürs Klima.
In Europa wird der Anteil der Landwirtschaft an den Treibhausgasen auf knappe zehn Prozent geschätzt, so Wilhelm Wehren, Leiter von Haus Riswick. Genug, um nach Einsparungen zu suchen. Früher haben die Experten am nördlichen Niederrhein vor allem herausfinden wollen, was man Kühen füttert, damit sie möglichst viel Milch geben. Jetzt wollen sie herausfinden, was Kühe dazu bringt, weniger zu rülpsen.
"Kühe suchen immer den besten Happen"
Wobei das mit dem Rülpsen so eine Sache ist. Claudia Verhülsdonk sagt: „Ich habe noch nie eine Kuh rülpsen gehört.“ Es ist das Wiederkäuen, das Klimaschützern so schwer im Magen liegt wie der Kuh das Gras. Gras bekommen Minga und ihre Kollegen aber eigentlich nur indirekt. Im Trog vor der Schnauze von Minga liegt eine olivgrüne Masse, die so aussieht wie Grünkohleintopf. Ohne Mettwurst, aber mit einer Menge grober Sprenkel. Silage: Gras mit vielen Fasern. Unverdaulich für jeden, der nicht vier Mägen hat.
Minga wühlt zunächst unschlüssig im Trog herum und schmeißt einen Teil des Futters den Besuchern vor die Füße. „Kühe suchen immer den besten Happen“, erklärt Claudia Verhülsdonk. Normalerweise verhindert ein Gitter, dass die Silage aus dem Trog fliegt. Denn Mingas Futter wird genau gewogen. Nach nur wenigen großen Kuhhappen ist der Trog sieben Kilo leichter. Minga zieht den Kopf zurück, die Klappe schließt sich so lange, bis eine ihrer Kolleginnen den Kopf durchstreckt.
Am Hals tragen alle Kühe einen Transponder, der dem System signalisiert, welche Kuh wie viel Silage oder Kraftfutter verschlingt. Auch ihr Durst wird gemessen. Mit der Wasserwaage quasi. Innerhalb von zwei Minuten hat Minga mal eben 30 Liter eingesogen. So eine Molkerei auf vier Beinen braucht jede Menge Rohstoff für ihre rund zehn Tonnen Milch pro Jahr.
Gefahrloses Testgas
So weit, so normal. Viele Bauern machen es nicht anders, abgesehen von der genauen Erfassung der Futter- und Wassermengen. Was am 2,9 Millionen Euro teuren Spezialstall in Haus Riswick anders ist, sind kleine Brauseköpfe, die in luftiger Höhe über den Kühen baumeln. Dort wird die Stallluft angesaugt und verglichen mit der Frischluft, die über die offene Westseite in den Stall strömt und ihn an der ebenso offenen Ostseite wieder verlässt.
Ein gefahrloses Testgas wird an der Westseite beigemischt und im Osten gemessen – daran lässt sich die Luftverteilung berechnen. Jedoch nur, wenn der Wind von der richtigen Seite kommt. Deswegen wird in Kleve nur bei Westwind gemessen, was Minga von sich gibt und wie sich die Zusammensetzung der Luft verändert, wenn 144 Kühe beim Wiederkäuen Methan und Ammoniak verströmen.
Mit Disconebel machen die Forscher die Luftströmung im Stall sichtbar. Wobei die Kühe angesichts der Wolke erstmal wegspringen. Frau Verhülsdonk allerdings ist sicher: „Es ist eher das Zischen, das die Kühe erschreckt. Nebel kennt die Kuh.“ Die Kuh tut beim Verdauen an sich nichts anderes als Biogaskraftwerke auch. „Es gibt keine Methode, Gase aus der Luft im Stall zu konzentrieren und sie energetisch nutzbar zu machen“, sagt Wolfgang Büscher, Professor für „Verfahrenstechnik in der Tierischen Erzeugung“ an der Universität Bonn.
Atmosphärenmessung in so einem für die moderne Milchwirtschaft offenen Stall war für die Wissenschaftler eine Herausforderung. Manches an der Messstation neben dem Kuhstall sieht nicht nur selbst gebastelt aus – es ist auch selbst kreiert: mit Schläuchen wie aus der Abteilung fürs Aquarium und Plastikflaschen mit Schraub- und Steckverbindungen. Dass die Messungen plausibel sind, davon sind die Experten überzeugt. Besonders Inga Schiefler, denn die Diplom-Ingenieurin schreibt über die rülpsenden Kühe von Riswick ihre Doktorarbeit.
Eine Runde auf dem Melkkarussell
Dass das Messsystem funktioniert, zeigt sich unter anderem daran, dass der Methan- und Ammoniakausstoß zweimal am Tag deutlich sinkt: Immer dann, wenn Minka und ihre Kolleginnen ins Nebengebäude gehen, um gemolken zu werden. Zweimal am Tag fahren sie eine Runde auf dem Melkkarussell, das sich langsam dreht, während der Euter gelehrt wird.
Jetzt, nach einem Jahr, sind die Experten so weit, dass sie mit den Futtermischungen experimentieren werden. Hat es Auswirkungen, ob Mais- oder Grassilage gefuttert wird? Wie wirkt Kraftfutter aufs Klima? Hoffnungen setzen die Experten in Futterzusätze, die sich auf die Zusammensetzung der Verdauungsgase auswirken sollen. Eine der Fragen ist, ob sich Landwirte teure Zusätze leisten können. Und die andere, was Minga dazu sagt, wenn ihr Futter demnächst nach Oregano oder Knoblauch schmeckt. Denn vor allem Knoblauch soll den Methan-Ausstoß deutlich bremsen. Die Frage ist nur, wie dann die Milch schmeckt.