Nachterstedt. Rund 800 Menschen nahmen an einem Gottesdienst zum Gedenken der Opfer des Erdrutsches in Nachterstedt teil. Noch immer ist die Situation an der Erdrutschstelle kritisch - der Hang könne jederzeit nachgeben und die verbliebenen, evakuierten Häuser in die Tiefe reißen.
Eine Woche nach dem Erdrutsch in Nachterstedt hat am Freitagabend ein Gottesdienst zum Gedenken der Opfer stattgefunden. Angehörige, Freunde und Bekannte versammelten sich in der kleinen Nicolai-Kirche. Der 1957 errichtete Bau fasste nicht die große Zahl jener, die ihrer Betroffenheit und Anteilnahme Ausdruck verleihen wollten. Das frühere Gotteshaus war wie viele andere Gebäude des Ortes dem Bergbau zum Opfer gefallen.
Die Angehörigen von des Ehepaars Ilka und Peter K. sowie von Thomas H., die am vergangenen Samstag mit ihren Häusern im Concordiasee versanken, kamen ebenso wie die rund 40 ausquartierten Familien durch einen Seiteneingang in die Kirche. Einige hundert Menschen verfolgten die Predigt und die Fürbitten unter freiem Himmel, wo die von der Gemeinde vorsorglich aufgestellten Bänke dann doch nicht ausreichten. Viele hatten Blumen mitgebracht.
Wut und Verzweiflung
«Zu groß ist die Katastrophe, als sie in Worte fassen zu können, als dass das Herz das Geschehene erfassen könnte», sprach Pfarrer Holger Holtz aus, was viele Trauernde bewegte. «Der Boden unter den Füßen ist weg.» Die vergangenen Tage seien für viele geprägt gewesen von Trauer um geliebte Menschen, von Wut und Verzweiflung, aber auch von Nähe und Mitgefühl.
Wie der Geistliche würdigten in ihren Fürbitten und Gebeten auch viele Betroffene die seit der Katastrophe erlebten Gesten der Nächstenliebe. So bedankte sich mit bewegter Stimme die Ehefrau des 50-jährigen Thomas H., die in der Unglücksnacht Dienst hatte und deshalb überlebte, für die Hilfe und Unterstützung von vielen Seiten. Dies habe es den Söhnen überhaupt erst möglich gemacht, zu überleben, sagte sie.
Ein Freund der betroffenen Familien sprach von noch kürzlich gemeinsamen Erlebnissen mit jenen, «denen wir nie wieder begegnen werden». Er sehe vor sich «nicht nur traurige, sondern fassungslose Menschen, denen man am Gesicht ablesen kann, wie verzweifelt sie sind». Ihnen solle auch künftig Hilfe und Freundschaft zuteilwerden.
«Wir haben alles versucht»
«Wir haben alles versucht», versicherte im Altarraum dann einer der ehrenamtlichen Helfer. Für die Landesregierung von Sachsen-Anhalt versprach Wirtschaftsminister Reiner Haseloff, das Leid der Betroffenen lindern und mildern zu wollen. Gemeinsam mit der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft LMBV, deren Geschäftsführer Mahmut Kuyumcu an dem Gottesdienst ebenso teilnahm wie der Stendaler Regionalbischof Propst Christoph Hackbeil, werde man auch versuchen, der Region eine gute Zukunft zu ermöglichen. Sichtlich bewegt bat der Minister in seiner Fürbitte um Kraft für die Angehörigen der Opfer und für die Betroffenen der Katastrophe, damit sie in dieser schrecklichen Situation Mut für die eigene Zukunft finden mögen, und für die Gemeinde und ihre Bewohner, damit auch kommende Generationen dieser Region noch lebenswert finden.
Zeit zum Durchatmen
Die evangelische Gemeinde hatte zu dem Gottesdienst eingeladen, um den Menschen, die durch die Katastrophe völlig aus ihrem Alltag gerissen wurden, Zeit zum Durchatmen, für Gedenken und Gebete zu geben. Eine offizielle Trauerfeier für die drei Opfer des Erdrutsches war die Andacht nicht. Da sie nicht geborgen werden konnten, gelten sie offiziell als vermisst.
Im Anschluss an das Gedenken in der Kirche zog ein Trauerzug durch Nachterstedt bis zu jener Stelle, an der seit Montag vor den abgesperrten Resten der Halden-Wohnsiedlung Blumen an die einstigen Nachbarn und Freunde erinnert. Am Freitagabend wurden wieder Kränze und Sträuße niedergelegt und Kerzen entzündet.
Knapp eine Woche nach dem verheerenden Erdrutsch in Nachterstedt im Harzvorland mit vermutlich drei Toten ist die Gefahr an der Unglücksstelle immer noch nicht gebannt. Der Hang, der nach dem Abbruch eine Neigung von 72 Grad aufweist, könne jederzeit nachgeben und die verbliebenen evakuierten Häuser mit in die Tiefe reißen, teilte der zuständige Bergbausanierer LMBV am Freitag mit. Derzeit würden alle technischen Möglichkeiten geprüft, wie die Stabilität der Böschung an dem künftigen Erholungsgebiet «Seeland» wieder hergestellt werden kann.
Am Freitag wurden rund um den Concordia-See die letzten Absperrungen errichtet. Hilfe bei der Aufklärung des Unglücks erhielten die Ermittler und die LMBV von Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Häuser sind unbewohnbar
Die auf der Halde in den 1930er Jahren errichteten und nach dem Unglück vom Samstag einsturzgefährdeten Häuser wurden inzwischen von der Lausitzer- und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) für unbewohnbar erklärt. Staatsanwaltschaft und Gutachter der LMBV suchen weiter nach der Ursache des Unglücks.
Das Luft- und Raumfahrtzentrum hatte vom betroffenen Gebiet Luftbilder angefertigt. Dazu war ein Flugzeug aus der DLR-Forschungsflotte von Oberpfaffenhofen bei München zu einem dreistündigen Erkundungsflug gestartet. Bei zwei Überflügen in 1200 Metern Höhe über dem zum Katastrophengebiet erklärten Ort wurden die Fotos gefertigt. Die Karten ermöglichen nach DLR-Angaben vom Freitag den Vergleich des Geländezustandes vor und nach der Katastrophe sowie die Beobachtung des Geländes auf weitere Veränderungen.
In der Nacht zum Freitag war der Katastrophenalarm für das Gebiet um den See wieder aufgehoben worden. Für das Gewässer besteht ein striktes Badeverbot.
Hund hat überlebt
Knapp eine Woche nach nach dem Erdrutsch von Nachterstedt haben Rot-Kreuz-Helfer eine völlig entkräftete Hündin auf dem gesperrten Gelände gerettet. «Die Familie war überglücklich, als wir ihnen heute Nachmittag den verloren geglaubten Hund Tina übergeben haben», berichtete Einsatzleiter Jörg Escher am Freitag.
Helfer der DRK Bergwacht hatten nach dem Unglück am Samstag auf dem Gelände Futterstellen verteilt und kontrolliert. «Wir hatten gesehen, dass an einer Futterstelle ein Tier gewesen sein muss und haben dort dann eine Kastenfalle aufgestellt, um den verängstigten Hund so schonend wie möglich einzufangen», berichtete Escher.
Die DRK-Helfer sichern unter anderem Geologen bei Untersuchungen am Rand des Kraters. Diese prüfen regelmäßig, ob die Spalten breiter geworden sind oder ob sich neue gebildet haben. Gerechnet wird damit, dass der Hang früher oder später weiter abrutschen wird. (ap/ddp)